Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
unvermittelt aus den weiten, endlosen Ebenen erhoben und im weiteren Verlauf tiefe Täler und Schluchten bildeten. Dorthin fand kaum ein Schimmer des immerwährenden grauen Lichts seinen Weg, weswegen viele Unai sich erzählten, dort befinde sich der Eingang in die Schwarzen Sphären. Die Gebirgskette lag weit entfernt von den Orten, an denen sich der Bash-Arak und seine Getreuen zumeist aufhielten.
Dies machte das Gebirge zu einem idealen Versteck und Aufenthaltsort für diejenigen der Schatten, die an der Führung durch ihren Herrn zweifelten und sich im Geiste von ihm abgekehrt hatten. Noch war ihre Zahl gering, aber sie wuchs ständig, denn die Unzufriedenheit unter den Schattenwesennahm zu. Der Bash-Arak hatte ihnen die Freiheit versprochen, aber sie warteten in ihrem düsteren Gefängnis schon fast tausend Jahre, ohne dass ihr Meister sein Versprechen eingelöst hatte. Zudem hatte sich ein seltsames Gerücht unter ihnen verbreitet, das ihre Hoffnung auf ein baldiges Ende ihrer Qualen nährte: Man erzählte sich, der Linethar, der vor tausend Jahren prophezeite Erlöser, sei aufgetaucht, um sie aus dem Gefängnis der Grauen Sphären zu befreien. Wenngleich dies für die Mehrzahl der Schattenwesen noch kein ausreichender Grund war, sich von ihrem Meister abzuwenden, so gab es doch einige unter ihnen, die dem Gerücht Glauben schenkten und selbst etwas zu ihrer Befreiung beitragen wollten. Sie versammelten sich an geheimen Orten und schmiedeten Pläne, wie sie dem Einfluss des Bash-Arak entkommen konnten.
Der Hruthyr, ein Berg mit abgeflachter Kuppe am Rande des Gebirges, war einer ihrer Versammlungsplätze. Dort war ein Kreis aus riesigen Steinquadern errichtet worden, der einem längst vergessenen Volk für kultische Zwecke gedient hatte. Noch immer war die uralte Magie zu spüren, die den Ort seit Äonen durchzog.
Langsam füllte sich der Steinkreis mit schemenhaften Wesen, die aus allen Richtungen der Grauen Sphären herbeiströmten und sich schweigend in seinem Inneren aufstellten. Reglos verharrten sie eine Zeitlang, kein Laut außer dem klagenden Wind war zu hören, bis einer der Unai den Arm hob und zu sprechen begann. Er war von hoher Gestalt, seine tiefe Stimme war deutlich zu vernehmen, obwohl er nicht laut sprach.
»Wir versammeln uns heute das letzte Mal im Steinkreis von Drom, denn unsere Treffen sind in Gefahr, entdeckt zu werden. Einige von euch haben berichtet, der Bash-Arak habevon Aufständischen in den eigenen Reihen gehört und seine Diener ausgesandt, um nach ihnen zu suchen.« Seine glühenden Augen glitten über die Anwesenden, als prüfte er jeden auf seine Gesinnung. »Der Bash-Arak wird Verrat grausam strafen, aber er hat uns mit falschen Versprechungen auf den Weg der Dunkelheit gelockt. Uns allen hier ist im Laufe der Zeit klar geworden, dass der Bash-Arak nicht beabsichtigt, uns in die Freiheit, sondern in immer tiefere Sklaverei zu führen. Das dürfen wir nicht zulassen! Nun aber droht uns Gefahr durch Verräter aus unseren eigenen Reihen. Um wie viel schändlicher ist dies! Jeder, der so handelt, verrät seine wahre Bestimmung ein zweites Mal!«
Zustimmendes Wispern erfüllte den Steinkreis.
»Wahrscheinlich befinden sich auch jetzt Spione unter uns. Schande über euch! Möget ihr keinen Frieden mehr finden und auf Ewigkeit rastlos in den Zwischenwelten umherwandern!« Der Sprecher richtete sich zu voller Größe auf. Mit Donnerstimme fuhr er fort: »Deshalb werde ich euch heute keine weitere Order geben, und es werden keine weiteren Versammlungen mehr abgehalten. Nur so viel sei gesagt: Der Linethar wird kommen und uns erretten, wie es in der alten Prophezeiung verkündet wurde! Ihr werdet ihn erkennen, sobald er sich unter euch befindet, habt Vertrauen. Ich glaube fest daran: Er hat unseren Ruf vernommen und wird zu uns kommen. Darum seid nicht verzagt – unsere Lage mag verzweifelt sein, aber sie ist nicht hoffnungslos.« Er drehte sein Haupt und ließ den Blick über die Versammelten gleiten. »Kehrt jetzt zurück in eure Domänen und verhaltet euch ruhig. Sobald der Linethar in den Grauen Sphären erscheint, wird sich die Kunde wie ein Lauffeuer verbreiten. Dann, seid versichert, ist die Zeit der Erlösung nicht mehr fern.«
Schweigend verbeugten sich die Unai vor dem Redner und verharrten einen Moment demütig in dieser Stellung, bevor sie sich umwandten und geisterhaft den Rückweg an den Hängen des Berges antraten. Als Letzter stand der Sprecher inmitten des
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