Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
obwohl er nach ihr Ausschau gehalten hatte. Zu den Bereichen des Lagers, in denen die Heerführer und Ritter höheren Ranges untergebracht waren, hatte ein Söldner wie er keinen Zugang, aber diese Nacht wollte er nutzen, um sich in den bewachten Bezirk zu schleichen und nach ihr zu suchen.
Er hatte keine Schwierigkeiten, sich an den Wachposten vorbeizuschleichen, denn sie waren im Inneren des Lagers nicht besonders aufmerksam, und Thut Thul Kanen verstand sich bestens auf die Kunst des Pirschens und des Versteckens. Wo aber sollte er anfangen zu suchen? Er wusste, dass das Zelt, in dem sich Eilenna aufhielt, von dunkelblauer Farbe war, aber in der Finsternis konnte er keine Farben ausmachen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als einen Blick in jedes der Zelte zu werfen – obwohl das gefährlich war.
Das gedämpfte Murmeln der Stimmen der Dan-Ritter ringsum drang an sein Ohr; obwohl er nicht auf den Inhalt der Gespräche achtete, ließ ihn eine der Stimmen plötzlich aufhorchen. Sie war ihm bekannt, wenngleich er sie kaum hören konnte. Aber sie hatte den sonoren Klang der Menschen von den östlichen Inseln – es war Dan-Lord, der ihn zuvor bei der Arbeit gerügt hatte, der da sprach. Thut Thul Kanen konnte nicht verstehen, was er sagte, denn der Dan sprach leise. Vorsichtig pirschte er sich heran, schob den Stoff des Zelteingangs zur Seite und lugte hinein.
Was er sah, versetzte ihn in Erstaunen.
Lord Exan saß im dämmrigen Licht einer einzelnen Kerze vor einem kleinen schmucklosen Spiegel und unterhielt sich mit einer Gestalt, die Thut Thul Kanen nicht erkennen konnte, da die Oberfläche des Spiegels seitlich zu ihm stand. Er hatte von diesen magischen Dingen gehört, und er wusste um ihre Verwendung, aber dennoch erblickte er so einen Cerele zum ersten Mal. König Hetat, der Herrscher über Shon, hielt sie – wie alle Zauberei, die aus dem Norden stammte – für das Werk dämonischer Kräfte und hatte ihren Besitz bei Todesstrafe verboten.
Das Gesicht des Dans war ernst und konzentriert, er schien besorgt zu sein über das, was die Gestalt im Spiegel erzählte. Thut Thul Kanen hätte zu gerne gewusst, worüber sie sich austauschten. Plante er eine Verschwörung? Stand er am Ende gar mit dem Feind in Verbindung? Ein unwahrscheinlicher Gedanke, aber nicht vollkommen abwegig.
Thut Thul Kanen beobachtete den Dan-Lord so lange, bis der sich von der Gestalt im Spiegel mit einer ehrerbietigen Verbeugung verabschiedete. Sorgsam verhüllte er den Cerele unter einem weiten Tuch und umwickelte ihn mit kräftigen Tauen, dann stellte er ihn in eine Ecke.
Thut Thul Kanen hatte genug gesehen und zog sich vom Eingang des Zelts zurück. Er nahm sich vor, den Dan weiter im Auge zu behalten, denn es konnte lebenswichtig sein, die Schwächen des Gegners zu kennen. Doch vorerst wartete eine weitaus wichtigere Aufgabe auf ihn, derentwegen er eigentlich hierhergekommen war. Wie ein Schatten glitt er zurück in die Dunkelheit der Nacht, um seine Suche nach Eilenna fortzusetzen.
23
Drynn Dur trat mit dem Stiefel gegen die Eichentür, die den Zugang des Turms von Arath versperrte. Sie flog mit lautem Krachen auf, und er stapfte hinein. Mehrere Gredows folgten ihm ächzend und schnaufend, sie schleppten schwere Eichentruhen mit sich.
Außer dem spärlichen Tageslicht, das durch den Eingang hereinflutete, spendeten ein paar Fackeln an den Wänden etwas Helligkeit, die sich jedoch in der Höhe des vor ihnen liegenden kreisförmigen Schachts schnell verlor. Die Stufen einer breiten Wendeltreppe führten an den inneren Turmwänden, die einen Durchmesser von dreißig Yards haben mochten, in die Dunkelheit.
»Dort hinauf!« Der Admiral riss eine Fackel von der Wandhalterung, schritt energisch auf die Treppe zu und begann mit dem Aufstieg. Er war erstaunt, dass der Zugang zur Bibliothek der Dan nicht besser gesichert war, aber vermutlich hatte keiner der Dan damit gerechnet, dass Garadin jemals vom Feind entdeckt werden würde. Hinter ihm mühten sich seine Krieger mit den schweren Holztruhen ab; da sie unmöglich mit ihm Schritt halten konnten, blieben sie mit der Zeit weit hinter ihm zurück, denn die Treppe wand sich in schier endlose Höhe. Drynn Dur nahm an, dass die Dan den beschwerlichen Aufstieg nur in dringlichen Fällen auf sich genommen hatten und die Bibliothek nur selten aufgesucht worden war.
In regelmäßigen Abständen gelangte er an kleine Galerien, in denen plötzlich ein Kristall aufleuchtete und schummriges
Weitere Kostenlose Bücher