Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
Licht verbreitete. Die Emporen dienten wohl dazu, sich von den Strapazen ausruhen zu können, bevor man weiter nachoben stieg. Sobald Drynn Dur sich entfernte, verloschen die Kristalle wieder wie von Geisterhand.
Er blickte hinunter in die Tiefe und sah seine Krieger im Schein ihrer eigenen Fackeln mühsam nach oben steigen, hörte ihr Fluchen und angestrengtes Atmen.
»Eilt euch, ihr Hundesöhne!«, rief er ungeduldig nach unten. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
Er musste die Spitze des Turms bald erreichen und stürmte vorwärts, zwei Stufen auf einmal nehmend. Tatsächlich gelangte er wenig später an ein ovales Tor am oberen Ende der Treppe, über dem verschlungene Zeichen der Cestril-Schrift in den Stein eingraviert waren. Drynn Dur erkannte zwar die verhassten Schriftzeichen der Magier, wusste aber nicht, was sie bedeuteten, denn er war des Lesens nicht mächtig. Das Tor war nur durch einen Riegel verschlossen, den er problemlos zur Seite schieben konnte. Er stieß die Torflügel nach innen auf und trat durch den Bogen.
Eine grelle Helligkeit flutete ihm entgegen, er musste die Hand vor die Augen halten und hielt ein paar Augenblicke geblendet inne. Als er sich an das starke Licht gewöhnt hatte, erkannte er einen ausladenden Raum, der mit dunklem Holz getäfelt war, was ihm eine behagliche, wenn auch etwas düstere Atmosphäre verlieh. An den hohen Wänden standen reich verzierte Regale, die bis unter die Decke ragten.
Drynn Dur grunzte zufrieden. Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Hier also wurde das Allerheiligste des Dan-Ordens gehütet, jene uralten Aufzeichnungen, welche die Geheimnisse der Dan-Magie enthielten. Viele tausende von Folianten und Schriftrollen standen säuberlich kategorisiert in den Registern, es roch nach Holz und vergilbtem Pergament. Der Gredow schüttelte verständnislos den Kopf. So viele Bücher, so vielnichtiges Wissen, das man im Laufe vieler tausend Jahre gesammelt hatte! Es würde den Untergang der Dan nicht aufhalten, ganz im Gegenteil – es würde ihn beschleunigen.
Er ging zu einem der Regale und griff wahllos ein Buch heraus. Es wog schwer in seinen Händen, war von beachtlichem Umfang und in Leder gebunden. Den Buchrücken zierten Cestril-Zeichen in goldenen Lettern. Als er es aufklappen wollte, um es näher zu betrachten, spürte er einen merkwürdigen Widerstand: Die Buchdeckel wollten sich nicht auseinanderbewegen. Er zog kräftiger, doch sie blieben geschlossen. Wütend warf er den sperrigen Folianten auf den Boden. Dann ergriff er ihn mit beiden Händen, krallte sich in das Leder und wandte all seine Kraft auf. Sein Kopf rötete sich vor Anstrengung, er keuchte und knurrte, als plötzlich ein blauer Blitz aus dem Buch hervor schoss und ihn mit solcher Kraft zurückschleuderte, dass er gegen die gegenüberliegende Wand prallte.
Für einen Moment blieb Drynn Dur benommen liegen. Was war geschehen? Eine böse Vorahnung ergriff ihn. Er rappelte sich auf und packte ein anderes Buch, versuchte es zu öffnen. Doch auch diesmal erging es ihm nicht anders. Langsam dämmerte ihm, warum die Bibliothek der Dan nicht sonderlich geschützt gewesen war: Die Bücher selbst waren durch magische Siegel verschlossen – niemand konnte sie einsehen, der nicht den korrekten Zauberspruch kannte. Drynn Dur fluchte über die List der Dan und hoffte, dass sein Herr in der Lage war, die Siegel zu brechen. Zwar zweifelte er nicht an der Macht des Todesfürsten, aber zuweilen versagten auch dessen Kräfte im Kampf gegen die Zauberei der Erzmagier.
Der Admiral hörte das Scharren von Holz, als die ersten Gredows das Ende der Stufen erreichten und die Truhen ins Innere der Bibliothek wuchteten. Wie gut, dass sie nicht mitangesehen hatten, wie ihn der Blitz traf – das wäre eine unerträgliche Schmach gewesen.
»Räumt sämtliche Bücher und Schriftrollen in die Truhen und verladet sie auf die Acheron in die hinteren Frachträume«, befahl er seinen Kriegern mit barscher Stimme. Er wollte nicht mehr Zeit als nötig in dem Turm verbringen, wer konnte schon sagen, ob die Dan nicht doch noch weitere Zauber verborgen hatten? »Wenn ihr damit fertig seid, legt überall in der Festung Feuer. Der Widerschein der Flammen soll uns noch lange den Weg nach Osten erhellen, wenn wir uns auf die Fahrt zurück nach Caithas Dun begeben!«
24
Das Kahle Gebirge, das größte seiner Art in den Grauen Sphären, verdankte seinen Namen den schroffen, unbewachsenen Hängen und Felswänden, die sich
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