Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
er der Kunst des Lesens nicht mächtig war.
Als Thut Thul Kanen aus dem Zelt trat, um weitere Getreidesäcke zu holen, erblickte er eine kleine Ansammlung von Söldnern. Sie umringten einen Diener, der warme Umhänge und Mäntel verteilte, da es noch kälter geworden war. Auch Thut Thul Kanen ließ sich einen Umhang geben und zog denkratzigen Stoff dankbar über seine ärmliche, fadenscheinige Kleidung. Er wärmte zwar bei weitem nicht so gut wie die kaifiri, die er aus seiner Heimat kannte, aber er war froh, einen zusätzlichen Schutz gegen die Kälte zu haben.
Allerdings wärmte der Mantel nur seinen Körper und vermochte nichts gegen die Kälte der Verzweiflung auszurichten, die sich im Laufe der nächsten Tage in seiner Seele ausbreitete. Was, wenn Eilenna sich an einem anderen Ort in Gondun aufhielt oder – noch schlimmer! – die Insel schon längst verlassen hatte? Allein dieser Gedanke machte ihn rasend.
Am Morgen des fünften Tages, nach einer schier endlosen Zeit des Wartens, schlugen die Wachen plötzlich Alarm. Die Soldaten packten ihre Waffen und eilten zum nördlichen Verteidigungswall, Thut Thul Kanen folgte ihnen. Stand ein Angriff der Gredows bevor? Bogenschützen gingen in Position, die Geschosse auf die Sehnen gelegt, und warteten auf den Befehl Amberons.
Thut Thul Kanen kniff die Augen zusammen und schaute hinaus ins Grau des Schneeregens, der seit dem Morgen eingesetzt hatte. Aus dem Dunkel des Rhun-Walds löste sich ein langer Zug von Menschen, der direkt auf das Lager zuhielt. Sie gingen gebückt und schwerfällig, schienen der Erschöpfung nahe.
Amberon hob die Hand. »Wartet! Nicht schießen! Mir scheint, das sind keine Angreifer.«
Kurze Zeit später erschienen weitere Gestalten neben den Flüchtenden. Sie trugen weiße Roben und hatten ihre Schwerter gezückt, während sie sich gehetzt nach allen Seiten umschauten, als ob sie verfolgt würden.
»Das sind unsere Leute! Ich kann Lord Ibik erkennen!«, erscholl der Ruf eines Soldaten. »Er hat soeben seinen Tarnumhang abgelegt!«
»Und Hauptmann Dualar ist auch unter ihnen!«, rief ein anderer.
»Dualar und Tenan kehren also von ihrem Streifzug nach Esgalin zurück«, sagte der Erzmagier erleichtert. »Anscheinend haben sie Überlebende des Dorfes gefunden.«
Die Dan schoben auf sein Zeichen hin das provisorische Lattentor zur Seite und gewährten der Gruppe Einlass. Thut Thul Kanen verhüllte sein Gesicht unter der Kapuze seines neuen Umhangs, damit ihn niemand erkennen konnte, und drängte sich durch die Reihen der Umstehenden nach vorn. Er wollte die Neuankömmlinge genau in Augenschein nehmen.
Ein bärtiger, abgemagerter Mann stolperte als Erster durch den Eingang des Lagers. Zwei Krieger eilten heran, um ihn zu stützen. »Belgon sei gepriesen, wir haben es endlich geschafft!« Obwohl der Mann die Augen vor Erschöpfung kaum mehr offen halten konnte, reckte er die Arme nach oben und murmelte Worte des Danks, bevor er zusammensackte.
Einer nach dem anderen torkelten die Dorfbewohner in das Lager. Es waren Frauen und Kinder unter ihnen, die sich mit letzter Kraft heranschleppten und teilweise von ihren Männern gestützt oder getragen wurden. Alle machten einen ausgezehrten Eindruck und keuchten vor Anstrengung.
Thut Thul Kanen beobachtete mit Erstaunen, wie weitere Dan-Krieger plötzlich wie aus dem Nichts auftauchten und so lange schützend vor dem Tor stehen blieben, bis alle hindurchgetreten waren.
»Im Wald lauern Gredows, die uns verfolgten«, sagte der junge Mann, den Thut Thul Kanen als Dualar, einen der Hauptleute, erkannte.
Der Erzmagier trat auf ihn zu. »Es erfreut mein Herz, Euchwohlauf und unverletzt zu sehen«, begrüßte er ihn. »Was ist geschehen? Und wo sind Tenan und seine Freunde?«
»Verzeiht, aber wir haben die matrall ganz vergessen«, ertönte eine Stimme.
Thut Thul Kanens Herz machte einen Sprung vor Freude, als er Eilenna und ihre beiden Begleiter, den Jungen und den haarigen Waldgeist, auftauchen sah, die ihre Tarnumhänge eilig über den Kopf zogen.
»Endlich in Sicherheit!«, rief der Fairin überglücklich. »Man darf ehrlich sagen, großen Hunger man hat!« Er schnupperte dem Geruch gebratener Grütze nach, der die Morgenluft des Lagers erfüllte.
»Nach all den Entbehrungen hast du dir eine anständige Mahlzeit wirklich verdient«, sagte Tenan.
»Und ein Bad und frische Kleider täten uns allen ebenfalls gut«, ließ sich Eilenna vernehmen.
»Ihr werdet hier im Lager alle
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