Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
sind wir hier?«, fragte Tenan flüsternd.
»In der Halle des Weisen!«, antwortete Urisk ehrfürchtig. »Er wird bald kommen! O ja, nur Geduld!« Sein Gesicht hatte einen besorgten Ausdruck angenommen.
Die vier Wachposten positionierten sich hinter ihnen, die Speere halb gesenkt, und warteten wortlos. Tenan versuchte sich zu entspannen; er wusste aus alten Erzählungen und Legenden, dass die Fairin zwar ein menschenscheues, doch friedliebendes Volk waren, von dem er nichts zu befürchten hatte. Sie hielten sich zumeist fern der Behausungen der Menschen auf und schätzten es nicht, wenn Fremde in jene Regionen der Wälder eindrangen, in denen sie lebten. Die riesigen Bobith-Bäume waren ihr Lebensraum und wurden von ihnen mit allen Mitteln gegen Eindringlinge abgeschirmt; es gab keine direkten Wege zu ihren Dörfern, und falls sich doch ein Wanderer in die Nähe der Bobith-Bäume verirrte, stiegen unheimliche Irrlichter auf, die sie weit weg von Behausungen der Fairin und zurück auf die Straßen führten.
Tenan wurde aus seinen Gedanken gerissen, als drei Gestalten aus einem Nebengang in die Halle traten. Zwei Fairin eskortierten einen kleinen, auf einen Wurzelstock gestütztenWaldgeist, der sich in resoluten Schritten auf den Thron zubewegte und sich ächzend darauf niedersinken ließ. Seine Begleiter stellten sich zu beiden Seiten neben ihm auf, sie waren in grüne und braune Roben gekleidet und blickten grimmig unter verfilzten Haaren und Kränzen aus Herbstblumen und roten Beeren hervor. Trotz ihres seltsamen Aufzugs und ihrer geringen Körpergröße machten sie einen bedrohlichen Eindruck.
Urisk senkte den Kopf und machte eine Geste der Ehrerbietung, aber er vermied es, den alten Fairin direkt anzuschauen.
Tenan hingegen musterte ihn mit unverhohlener Neugier. Sein Kopf war fast kahl und nur von einem struppigen Haarkranz bedeckt, was ungewöhnlich für einen seines Volkes war, denn normalerweise bedeckte dichtes Haar die Körper der Fairin. Seine Haut war von der Farbe trockenen Flachses und wurde von hunderten von Runzeln und Falten durchzogen.
Der alte Waldgeist betrachtete seinerseits Tenan mit wässrigen Augen und aufmerksamem Blick, ohne etwas zu sagen, dann nickte er plötzlich und lächelte ihn an. Sehr zu Tenans Erstaunen sprach der Fairin ihn in der Sprache der Menschen an, die er, im Gegensatz zu Urisk, fehlerfrei beherrschte: »Sei willkommen in Abath, dem Dorf der Fairin im Walde von Rhun.« Seine Stimme war, obwohl rau und brüchig, von ungewöhnlicher Sanftheit. »Dich umstrahlt der Glanz der Ingarath, mein Sohn – so etwas ist wahrlich selten geworden in der Welt.«
Tenan schaute ihn verwirrt an. Der Glanz der Ingarath? Was meinte der Alte damit? Die Ingarath waren Bewohner der Weißen Sphären gewesen, hilfreiche Geister und Unterstützer der Menschen, bevor sie den Weg des Lichts verließen und zu Dienern des Bash-Arak, des Herrn der Schatten, geworden waren. Er machte eine unbeholfene Verbeugung und legte dieHand auf die Brust, wie es bei den Völkern Algarads zur Begrüßung Sitte war. »Ich danke Euch für die freundlichen Worte des Willkommens, Herr.« Er stockte, unsicher, was sich zu sagen geziemte.
Der alte Fairin lächelte wieder. »Du kannst mit Mandik, dem Dorfältesten der Fairin, zwanglos sprechen. Ich selbst habe einige Zeit unter deinesgleichen gelebt, als ich jung war, und kenne die Sitten und Gebräuche der Menschen. – Sag, mein Sohn, was führt dich in unser Dorf? Es kommt nicht oft vor, dass einer deines Volks hier Zugang findet, denn wir halten uns fern von den Menschen und sorgen dafür, dass auch sie nicht hierhergelangen.«
»Es war eine Fügung des Schicksals«, antwortete Tenan. »Urisk und ich befanden uns mit den Truppen der Dan-Ritter auf dem Weg nach Süden, als wir von einem Unwetter überrascht und von den anderen getrennt wurden. Wir folgten dem Lauf des Flusses Ydrai und gelangten schließlich zu einem der Bobith-Bäume an der Grenze Eures Dorfes. Wenn Urisk nicht gewesen wäre, hätte ich den Zugang ins Dorf sicher nicht gefunden.«
»Wie gut, dass die Dan endlich eingetroffen sind, um die Gredows zu vertreiben«, sagte Mandik. »Wir befürchteten schon, der Hochkönig habe diese kleine Insel vergessen und überließe sie den mordenden Horden des Todesfürsten. Ich hoffe, die Dan sind erfolgreich in ihrem Kampf gegen die Krieger Achests?«
»Durchaus, edler Mandik. Obwohl bisher nicht alle Stützpunkte der Gredows ausfindig gemacht werden konnten,
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