Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
die Audienz und verließ, begleitet von den beiden Wachen, die Halle, seinen Wurzelstock energisch schwingend.
Urisk schaute düster vor sich hin. »Um nichts auf der Welt wird man den jungen Herrn verlassen und den Auftrag des großen Zauberers vergessen!«, sagte er trotzig.
Als sie unter dem ovalen Bogen des Ausgangs nach draußen auf die hölzerne Plattform traten, erhob sich die Sonne über den Horizont und übergoss den Wald mit strahlend-goldenem Licht. Keine einzige Wolke war zu sehen, und der Himmel war von einem dunklen Blau, wie es nur spät im Herbst zu sehen war.
Die vier vermummten Fairin-Wächter geleiteten sie über eine Wendeltreppe in einen tiefer gelegenen Bereich des Bobith-Baums, in dem eine Vielzahl von Wohn- und Schlafräumen untergebracht war, und wiesen ihnen ein geräumiges Zimmer zu, in dem sie sich ausruhen konnten. Dankbar ließen sich Tenan und Urisk in die mit Blattwerk gepolsterten Schlafnischen fallen. Hinter ihnen lag eine anstrengende Nacht, in der sie viel Aufregendes und Ungewöhnliches erlebt hatten. Tenan wollte die Eindrücke und Erlebnisse noch einmal an sich vorüberziehen lassen, doch kaum hatte er die Augen geschlossen, übermannte ihn ein tiefer Schlaf der Erschöpfung.
8
In den Verliesen tief unter der Festung Nagatha war zum ersten Mal seit vielen Monaten Stille eingekehrt. Der Bash-Arak hatte befohlen, alle Sklaven in ihre Zellen zu bringen und einzuschließen, denn niemand sollte beobachten, wie der Meledos-Kristall in die große Halle gebracht wurde. Dies war ein heiliger Vorgang, der von niemandem gestört werden durfte.
Der Herr der Schatten stand allein auf einem Balkon, von dem aus er die Halle überblicken konnte, und drehte den Kristall gedankenverloren in den Händen. Es war ein langer Weg gewesen bis hierher, er hatte viel auf sich nehmen müssen, und fast wäre er gescheitert. Dem jungen Comori-Lehrling, der den Meledos gefunden hatte, wäre es beinahe gelungen, ihn in die Hände der Dan-Ritter zu übergeben – und alles, wofür der Bash-Arak jemals gekämpft hatte, wäre verloren gewesen.
Aber letzten Endes war doch alles gut gegangen, und er war seinem Ziel näher als je zuvor. Er musste nur noch das Siegel der Finsternis vollends zerstören und die Flügel des Weltentores aufstoßen. Dann endlich konnten die Unai aus den Grauen Sphären hinabsteigen, Besitz von den Körpern der Toten ergreifen und auferstehen.
Er legte den Meledos vor sich auf die Brüstung des Balkons und trat einen Schritt zurück, dann hob er die Hand und ließ den Stein kraft seiner Magie emporschweben. Der Meledos schimmerte rot und verbreitete sein unheilvolles Licht in jedem Winkel der Halle, während er sich langsam auf einen Ring aus Eisen zubewegte, der hoch oben von der Decke der Halle herabhing. Direkt über seiner Mitte senkte sich der Stein hinab in eine handtellergroße Fassung, die sich um den Kristall schmiegte, als sei sie eigens für ihn geschmiedet.
Der Herr der Schatten trat an die Brüstung, breitete die Arme aus und öffnete sich dem düsteren Strahlen des Meledos. Die Verbindung zwischen den Grauen Sphären und der Welt der Sterblichen war hergestellt, nun konnte er endlich mit dem geheimnisvollen magischen Ritual beginnen, auf welches die Schatten schon so lange warteten. Eine Welle wilden Triumphs durchflutete ihn, und ein heiserer Schrei drang aus seiner Kehle, dessen Echo von den Wänden der Halle widerhallte. Schaurig drang der Ruf bis in die entferntesten Winkel und Kerker der Verliese, und die Gefangenen rückten schaudernd zusammen.
»Das bedeutet nichts Gutes«, flüsterten sie untereinander. »Etwas Schreckliches wird passieren.« Doch keiner von ihnen konnte ahnen, welche Abscheulichkeit der Bash-Arak und Achest Todesfürst tatsächlich planten.
9
Die Gebäude Garadins lagen einsam und verlassen unter einer grellen, unbarmherzigen Sonne. Drynn Dur beobachtete, wie die Gefangenen die letzten schweren Truhen voll mit Büchern und alten Schriften aus der Bibliothek über den breiten Anlegesteg auf die Acheron schleppten und in den Frachträumen verstauten. Seine Krieger beaufsichtigten sie dabei und trieben sie mit knallenden Peitschenhieben an. Das Verladen der geheimen Dan-Schriften hatte einige Tage in Anspruch genommen, denn es waren tausende Folianten gewesen, und die Sklaven hatten größte Mühe gehabt, die schweren Truhen die endlose Wendeltreppe im Turm von Arath hinabzutragen. Da Drynn Dur nicht wusste, welche der Bücher für
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