Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
Tenan.
Er versuchte die alptraumhaften Bilder mit einer schnippischen Bemerkung in Eilennas Richtung zu vertreiben: »Ich bin mir nicht sicher, ob Thut Thul Kanen diesen Raub nicht irgendwann bereut hätte. An dir würde sich wohl auch der härteste Shon-Krieger die Zähne ausbeißen.«
Eilenna stieß Tenan erbost einen Ellenbogen in die Rippen, und zwischen den beiden entbrannte der gewohnte Disput, bei dem aus Neckerei und Stichelei manchmal ein regelrechter Streit wurde.
Kapitän Harrid stapfte unterdessen auf eine der Ladebrücken zu, wo sich ein paar Seeleute mit Fässern und Getreidesäcken abmühten. Sie stellten sich dabei höchst ungeschickt an, einer der Männer drohte auf dem nassen Steg abzurutschen und das schwere Fass mit sich zu reißen. Laut schimpfend ging ihnen der Kapitän zur Hand.
»Und du, mein Junge?«, wandte sich Chast an Tenan und unterbrach so das Geplänkel mit Eilenna. »Ich wette, du kannst es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen, oder?«
Tenan spürte den heißen Stich des Heimwehs in seiner Brust, aber auch die Angst, die ihn beim Gedanken an Gondun erfüllte. »Ich mache mir große Sorgen«, gestand er, »Sorgenum Meister Osyn und die Leute meines Dorfes. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist, aber ich hoffe, dass sie noch leben und dass die Gredows nicht ganz Esgalin verwüstet haben.«
»Hoffen wir, dass sich deine Befürchtungen nicht bewahrheiten. Nur gut, dass du eine Aufgabe im Heer der Dan hast, die dich ablenken wird«, sagte Chast.
»Ich für meinen Teil finde es erstaunlich, dass Lord Amberon ausgerechnet Tenan bei der Befreiung Gonduns dabeihaben will«, warf Eilenna spitz ein. »Es müsste doch genügend Krieger aus Gondun geben, die sich auf der Insel auskennen. Wozu benötigt er gerade einen kleinen Comori als Führer?«
Tenan verdrehte die Augen. Würde sie ihn die ganze Zeit mit ihren Bemerkungen quälen? Seit er sie kannte, zog sie ihn mit seiner Ausbildung zum Wasserzauberer auf. Für einen kurzen Augenblick wünschte er, sie würde nicht mitfahren und in Meledin zurückbleiben. »Lord Amberon wird wohl wissen, was er tut«, brummte er missmutig.
Eben wollte Eilenna zu einer weiteren bissigen Bemerkung ansetzen, da unterbrach eine ungehaltene Stimme ihre Auseinandersetzung.
»Kann mir jemand von euch Langbeinern gefälligst mal helfen?« Eine kleine Gestalt, deren rote Kappe grell im tristen Grau des Tages leuchtete, war aus einer schmalen Gasse ganz in ihrer Nähe getreten und schleppte mühsam eine hölzerne Kiste hinter sich her. Seine Schuppenhaut wirkte durch die Anstrengung noch grauer als sonst.
»Dex!« Erfreut lief Tenan dem krötenähnlichen Fisk-Hai entgegen. »Wo hast du die letzten zwei Tage gesteckt? Wir dachten schon, du seist vorzeitig mit einem anderen Schiff abgefahren!«
Der Fisk-Hai verzog den breiten Bartelmund zu einemleichten Grinsen, bevor er wieder sein gewohntes mürrisches Gesicht aufsetzte. »Wo denkst du hin? Alle Schiffe werden für den Flottenverband gebraucht. Selbst wenn ich wollte, hätte ich nicht früher abfahren können. Außerdem musste ich noch einige Dinge von Wichtigkeit mit Andorin besprechen. Der Hochkönig ist ein Mann von Weitsicht und Verstand und wirklich bemüht, den Graben, der zwischen den Fisk-Hai und seinem Volk während der letzten Jahrhunderte entstanden ist, zu überbrücken. Aber das hier ist wirklich der Gipfel der Unverschämtheit!« Anklagend wies er auf die Holztruhe. »So geht man nicht mit Gästen um! In Atala, meiner Heimat, hätte ich mein Gepäck nicht allein aufs Schiff schleppen müssen, stattdessen wären Diener zur Stelle gewesen und hätten mich als Zeichen der Ehre sogar in einer Sänfte hierhergetragen. Schließlich bin ich ein Abgesandter König Eglamars!«
»Der gute Dex«, neckte Chast. »Immer hat er etwas auszusetzen, und je mehr es ist, desto wohler fühlt er sich in seiner Krötenhaut.«
Der Fisk-Hai glotzte ihn missbilligend aus seinen großen gelben Froschaugen an und schnaubte. »Hilf mir lieber mit der Truhe und schwing keine großen Reden!«
Tenan wusste, dass Dex hinter der sauertöpfischen Miene und ruppigen Art eine weiche, verletzliche Seite zu verbergen suchte, die ihm anscheinend zuwider war. Seit Dex die Gefährten aus dem Reich der Fisk-Hai unter der Meeresoberfläche nach Meledin geleitet hatte, war etwas wie Freundschaft zwischen ihnen entstanden.
Tenan und Chast packten mit an und schleppten die Truhe, die schwerer war als erwartet, über den
Weitere Kostenlose Bücher