Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
würde ich sofort nach Esgalin gehen und Osyn suchen. Ich muss unbedingt wissen, ob er noch am Leben ist und wie es den anderen Dorfbewohnern geht.«
»Ja, ebenfalls zu seinem eigenen Dorf will man schnell kommen!«, rief Urisk. »Wie der junge Herr macht man sich große Sorgen um sein Volk!«
Das Entladen des schweren Kriegsgeräts nahm fast denganzen Tag in Anspruch. Die Söldner und Krieger brachten Reittiere, Waffen und Katapulte ans Ufer und begannen, den Platz nahe den zerstörten Kontorhallen freizuräumen, um dort weitere Zelte für das Lager zu errichten. Sie schaufelten Schutt zur Seite und hievten Felsen und Trümmer aus dem Weg. Die Überreste eines zerstörten Wachturms behinderten die Arbeiten schließlich so sehr, dass Magie eingesetzt werden musste, um sie beiseitezuschaffen. Eine Gruppe von vier Kriegern stellte sich im Kreis auf. Es waren speziell ausgebildete Kämpfer, sogenannte Skanden-Krieger, die eine besonders starke Art von Magie wirken konnten, indem sie sich zu einer geistigen Einheit verbanden. Sie standen völlig bewegungslos, dann stimmten sie einen vielstimmigen Gesang an, der an- und abschwoll wie die Gezeiten des Meeres. Plötzlich bröckelten Steine im Geröll, es knackte und krachte. Tenan traute seinen Augen nicht – einer der Steinblöcke erhob sich knirschend wie von Geisterhand in die Luft! Den Händen der Skanden entströmte eine unsichtbare Kraft, mit der sie selbst die schwersten Steinquader bewegen konnten, was mit Muskelkraft allein unmöglich gewesen wäre. Sie ließen die Trümmer langsam zur Seite schweben und senkten sie vorsichtig an einer Stelle ab, an der sie kein Hindernis darstellten.
Tenan sah dem Schauspiel gebannt zu, es war das erste Mal, dass er die magische Macht der Dan-Ritter mit eigenen Augen erlebte. Das alles also konnte man bewerkstelligen, wenn man Magie wirklich beherrschte! Er wunderte sich, weshalb die Dan-Ritter nicht mehr ihrer täglichen Aufgaben mithilfe von Zauberei verrichteten. Wie viel leichter hätte sich doch das Leben gestaltet!
So verstrichen für Tenan drei Tage in quälender Langeweile und Untätigkeit. Da sie das Lager nicht verlassen durften, erkundetenEilenna, Urisk und er anfangs die Stege und zerstörten Hallen, die innerhalb des überwachten Gebiets lagen. Danach wusste er nichts anderes mehr mit sich anzufangen, als die immer gleichen magischen Übungen zu wiederholen, die Dualar ihm beigebracht hatte. Den Hauptmann selbst sah er in dieser Zeit nur selten, er war an der Seite Amberons zu beschäftigt und hatte keine Zeit, sich Tenans Ausbildung zu widmen.
Als Tenan auf einem der Streifzüge mit Eilenna in einem verbrannten Haus ein zerbrochenes Fass mit dem Siegel Esgalins entdeckte, war es mit seiner Geduld endgültig vorbei. »Ich muss wissen, was in Esgalin passiert ist!«, rief er erregt.
»Wir werden dein Heimatdorf aufsuchen, sobald es möglich ist«, beschwichtigte ihn Eilenna. »Du musst Amberon und Dualar vertrauen. Außerdem tust du Osyn keinen Gefallen, wenn du dein Leben leichtfertig aufs Spiel setzt.«
Tenan senkte zerknirscht den Kopf. »Natürlich hast du recht.«
Eilenna sah ihn mitfühlend an und legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm.
In der Nähe sammelte sich eine Gruppe von Dan-Kriegern, sie trugen Rüstungen und waren bewaffnet. Aufgeregt deutete Tenan in ihre Richtung. »Das muss ein Trupp von Skanden-Kriegern sein«, sagte er. »Meinst du, sie machen einen Erkundungsgang?«
Das Mädchen ahnte sofort, was er vorhatte. »Denk nicht einmal daran!«
Doch Tenan war nicht mehr zu halten. Er fasste sie an den Schultern und blickte ihr eindringlich in die Augen. »Eilenna, das ist die Gelegenheit für mich, die Umgebung zu erkunden! Einen besseren Schutz als den der Skanden-Krieger kann ichnicht bekommen. Ich bitte dich – erzähle niemandem davon! Ich werde sicher am Abend wieder zurück sein.«
»Wie willst du den Anführer der Skanden überzeugen, dass du mitgehen darfst?«, rief Eilenna ihm hilflos hinterher. »Amberon und Dualar werden dich bestrafen, wenn sie davon erfahren!«
»Lass das meine Sorge sein.« Tenan winkte ihr über die Schulter zu und verschwand zwischen den Dan-Rittern. Eilenna sah ihm kopfschüttelnd nach.
Zweites Buch
1
Die Acheron, das Flaggschiff der Flotte des Todesfürsten, lag schwer und wuchtig wie ein Berg im Wasser, gut verborgen hinter den Klippen einer kleinen Insel. Die Takelage und die Rahen des Dronth-Brechers, von denen das Tuch der eingeholten Segel
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