Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
»Vielleicht versuchen wir es dort mal. Und wenn mein Vater nicht da ist, wird er sicherlich bald wieder nach Hause kommen.«
Fritz wies in die Ferne, in der sich eine Staubwolke auf sie zubewegte. Offensichtlich handelte es sich um einen Mann auf einem Pferd, und dieser Mann war eindeutig ein Weißer. Jellas Herz klopfte plötzlich heftig.
»Das muss er sein!«, rief sie aufgeregt. Aufregung und bange Vorfreude machten sich in ihr breit. In nur wenigen Augenblicken
würde sie zum ersten Mal ihren Vater zu sehen bekommen. Wie mochte er jetzt wohl aussehen? Jella besaß eine Fotografie von ihm, aber die war schon über zwanzig Jahre alt. Wie sehr mochte er sich wohl verändert haben? Würde er in ihr auf Anhieb seine Tochter erkennen?
Der Reiter näherte sich im preschenden Galopp der Farm. Erst kurz vor dem Gatter, das das gesamte Farmhaus und seine Stallungen umfasste, zügelte er sein Pferd. Aus den Baracken kam ein schwarzer Farmarbeiter in löchriger Drillichhose und machte ihm das Tor auf. Ohne ein Wort des Dankes gab der Reiter seinem Pferd erneut die Sporen und trieb es auf das Farmhaus zu. Mit einem kräftigen Ruck brachte er das Tier direkt vor ihnen zum Stehen.
»Was wollen Sie hier?«
Die Worte des Reiters klangen schroff und nicht gerade einladend. Jella zuckte unwillkürlich zurück, bevor sie den Reiter musterte. Irgendwie hatte sie sich ihren Vater ganz anders vorgestellt. Nicht so hager und vor allem nicht so abweisend. Sein Gesicht war unter einer breiten Hutkrempe verborgen. Jella konnte nur einen dunkelbraunen Schnurrbart und ein unrasiertes Kinn entdecken. Verlegen suchte sie nach Worten.
»Sind... äh... sind Sie Johannes von Sonthofen?«, fragte sie unsicher.
»Ich wüsste nicht, was Sie das anginge«, brummte der Mann unfreundlich. Jellas Herz rutschte bis in die Knie. Sie hatte nicht damit gerechnet, mit offenen Armen empfangen zu werden. Aber das hier war auch Fremden gegenüber äußerst unhöflich. Entschlossen strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht und suchte den Blick des Reiters.
»Ich bin in einer dringenden Angelegenheit hier und muss ihn unbedingt sprechen.«
Der Reiter hob mit einer Hand die Krempe seines Hutes an, sodass
Jella ihn genauer betrachten konnte. Sein ovales Gesicht war ebenmäßig und wohl geschnitten. Trotzdem lag etwas darin, das das Gesamtbild störte. War es das spitze Kinn, das sein Gesicht im Profil wie einen Halbmond aussehen ließ, oder eher das schmale, herablassende Lächeln, mit dem er sie jetzt bedachte, während seine stechend blauen Augen sie abschätzend musterten? Jella hielt seinem Blick stand. Erst jetzt erkannte sie, dass dieser Mensch vor ihr nie im Leben ihr Vater sein konnte. Er war viel zu schmächtig, wenn auch sehnig und gut durchtrainiert und außerdem um einige Jahre zu jung. Diese Erkenntnis ließ sie vor Erleichterung aufatmen.
»Können Sie mir nun sagen, wo ich Herrn von Sonthofen finde?«, fragte sie mit neuem Selbstbewusstsein. »Ich komme nämlich in einer wichtigen familiären Angelegenheit.«
Die Augen des Reiters verengten sich zu einem schmalen Schlitz. Misstrauische Neugier erschien auf seinem Gesicht. Plötzlich schien er sich auf rudimentäre Umgangsformen zu besinnen.
»Victor Grünwald«, brummte er eine Spur freundlicher. »Ich bin der Vormann auf der Farm. Habe gerade einen weiten, unerfreulichen Ritt zu unseren Herden hinter mir. Diese verdammten Hereros haben mal wieder ihre Rinder auf unsere Weiden getrieben. Was wollen Sie denn von Sonthofen?«
Jella dachte gar nicht daran, diesem unfreundlichen Kerl eine Auskunft zu geben.
»Das sage ich ihm wohl am besten selber«, meinte sie schnippisch. »Ist er im Haus?«
Grünwald zuckte mit den Schultern.
»Sehen Sie doch selber nach!«
Er wies mit dem Kopf in Richtung Farmhaus. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen.« Er tippte kurz mit dem Zeigefinger an die Krempe seines Hutes und ritt zu den Stallungen.
»Unfreundlicher Kerl, dieser Grünwald«, knurrte Fritz van
Houten. »Für einen Vorarbeiter benimmt er sich reichlich arrogant. Wollen Sie, dass ich noch ein wenig bleibe?«
Jella schüttelte energisch den Kopf.
»Auf keinen Fall! Ich habe Sie lange genug aufgehalten. Wie ich schon sagte: Ich komme ganz gut allein zurecht.«
Fritz nickte. Obwohl ihn Jellas abweisende Art verletzte, konnte er sie auch verstehen. Die erste Begegnung mit ihrem Vater ging ihn wirklich nichts an.
»Gut, dann trennen sich jetzt also unsere Wege.«
Er streckte ihr seine Hand
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