Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
nicht weit von hier.«
Er reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Dieses Mal griff sie zu. Mit einem Satz schwang er sich auf sein Pferd.
»Können Sie reiten?«, fragte er. Die Frau nickte. Fritz reichte
ihr seine rechte Hand. Mit einem Schwung zog er sie hinter sich auf den Pferderücken.
»Nochmals danke«, murmelte sie in seinen Rücken hinein. Fritz nickte nur und gab seinem Pferd die Sporen. Er genoss es, sie an seinen Rücken gelehnt zu spüren.
Jakob und seine Begleiter hatten bereits drei notdürftige Gräber ausgehoben, die wenigstens die Raubtiere daran hindern würden, sich an den Resten der Leichen zu vergreifen. Fritz hielt zu ihrer Beerdigung eine knappe Ansprache. Jella von Sonthofen stand etwas abseits mit gesenktem Kopf daneben. Schweigend schaufelten die Trecker die Gräber zu, während Fritz die junge Frau zu sich winkte.
»Sie können heute Nacht in meinem Wagen schlafen.« Er versuchte seiner Stimme einen nüchternen Anstrich zu geben. Die junge Frau nickte nur und verkroch sich ohne weiteren Kommentar in den Planwagen. Enttäuscht über ihre Verschlossenheit schüttelte Fritz den Kopf, ging rüber zum Feuer und füllte aus dem schwarzen, gusseisernen Topf etwas Eintopf in eine Schüssel. Schweigend reichte er sie in den Wagen. Eine schlanke Hand nahm sie, begleitet von einem hingehauchten »Danke«, entgegen.
Am nächsten Morgen schien Jella von Sonthofen wie ausgewechselt. Sie begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln.
»Das mit gestern tut mir leid«, meinte sie entschuldigend. »Ich habe mich wohl ziemlich dumm benommen.«
Fritz schüttelte den Kopf.
»Kein Mensch reagiert nach solch einem Erlebnis anders. Sie haben sich tapfer geschlagen. Und jetzt sollten Sie versuchen, diese schreckliche Geschichte zu vergessen. Wollen Sie Kaffee?«
Jella nickte dankbar. Fritz beobachtete heimlich, wie sie an ihrem heißen Kaffee nippte. Im frühen Morgenlicht zeichnete sich ihre Silhouette vor dem rasch aufgehenden roten Feuerball der
Sonne ab, während sie versonnen in die Ferne blickte. Ihr schönes, ausgeprägtes Gesicht mit der geraden Nase und dem breiten Mund zeichnete sich weich vor dem warmen Licht ab. Unvermittelt, wie es anscheinend ihre Art war, begann sie zu erzählen. Sie berichtete von ihrer Zeit in Berlin und von ihrem Großvater, der ihr all die Jahre verschwiegen hatte, dass ihr Vater hier in Afrika noch am Leben war. Und dass sie sich nun auf den Weg gemacht hatte, um ihn zu finden. Sie sagte nicht viel, aber Fritz ahnte, dass sie in ihrem Leben - genau wie er - schon eine Menge durchgemacht haben musste. Wieder spürte er, dass diese junge Frau etwas Schreckliches erlebt haben musste, um das sie einen dicken Panzer gebaut hatte.
Er schwieg, während sie redete, und unterbrach sie nur ein einziges Mal. »Wie heißt denn die Farm Ihres Vaters?«, wollte er schließlich wissen.
» Owitambe «, sagte Jella stolz. Fritz nickte.
»Meine Mutter und ich leben in Okakarara. Das ist ein kleiner Ort in der Nähe des Waterbergs. Ich kann Sie dorthin bringen.«
Owitambe
» Owitambe liegt am Ende eines lang ausgestreckten Tals, direkt am Fuß des Waterbergs. Wenn ich einen kleinen Schlenker in Richtung Westen mache, liegt es gewissermaßen auf meinem Weg«, meinte Fritz van Houten, ohne seinen Blick von den Ochsen zu lassen. Jella und er saßen nebeneinander auf dem Kutschbock des Planwagens und ließen sich durch die weiten, offenen Ausläufer der Omaheke-Wüste schaukeln. Die beiden Ochsen zockelten gemächlich vornweg und wurden nur hin und wieder von Jakob oder einem der anderen Treckführer mit einem Ochsenziemer angetrieben. Drei Tage waren seit dem Überfall vergangen, und das Ziel der Reise war nicht mehr fern. Jella und Fritz unterhielten sich über dieses und jenes, aber jene kurze Vertrautheit, die sich zwischen ihnen eingestellt hatte, als Jella von ihrer Berliner Zeit berichtet hatte, war bislang nicht wieder zurückgekehrt. Die junge Frau kam Fritz wie eine harte Muschel vor, die ihr empfindliches Inneres tief in sich verschloss.
»Sind Sie sicher, dass Sie meinetwegen den Umweg auf sich nehmen wollen?«, fragte Jella erstaunt. Bislang war immer nur die Rede davon gewesen, dass Fritz sie bis nach Okakarara mitnehmen würde. Er gab sich Mühe, gleichmütig zu erscheinen.
»Ich wollte schon längst mal wieder in die Gegend. Und dies ist eine gute Gelegenheit, um nach dem Wild zu sehen. Der Fuß des Waterbergs ist nämlich äußerst artenreich. Es gibt dort
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