Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Jedes Frühjahr ging es für zwei ganze Monate los. Sein Vater packte dann seinen Planwagen voller Waren und machte sich mit seinem Sohn auf, diese in entlegene Orte im Hinterland zu bringen. Die Farmen und Ortschaften lagen meist ziemlich abseits, sodass die beiden tagelang durch die Wildnis zogen. Fritz brauchte in dieser Zeit nicht zur Schule zu gehen, was ihn überhaupt nicht bekümmerte, denn er war ein guter Schüler, dem das Lernen leichtfiel. Sein Vater und er übernachteten unter freiem Himmel im Planwagen und hatten unendlich viel Zeit, miteinander zu reden. Sie unterhielten sich über Gott und die Welt, beobachteten die zahlreichen Wildtiere und freuten sich an der Natur, die sie in ihrer faszinierenden Ursprünglichkeit vor allem dort erlebten, wo das Land frei von Farmern war. Es war die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen. Bei diesen Gelegenheiten lernte Fritz auch, sich leise durch den Busch zu bewegen und mit dem Gewehr umzugehen. Sein Vater war im ersten Burenkrieg Soldat gewesen und hatte unter Joubert für die Freiheit der
Buren gegen die britische Kolonialmacht gekämpft. Dabei hatte er gelernt, sich zu tarnen und lautlos wie eine Schlange zu bewegen. Auf der anderen Seite hatten ihn die grausamen Erlebnisse des Krieges zum Pazifisten werden lassen. Diese Haltung hatte er auch seinem Sohn vermittelt. Fritz war in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass Gewalt immer das allerletzte Mittel in einer Auseinandersetzung sein sollte. Nach der Schule hatten seine Eltern ihm die Möglichkeit gegeben, nach Europa zu reisen, um dort zu studieren. 1899 war er schließlich als ausgebildeter Tierarzt wieder zurückgekehrt, um im Hinterland seine erste Stellung anzutreten. Doch die politischen Umstände hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Durch die Diamanten- und Goldfunde in Kimberley und in Witwatersrand waren im Laufe der Jahre immer mehr Goldgräber aus aller Herren Länder, aber vor allem aus den benachbarten britischen Kolonien in die Burengebiete Transvaal und Oranje-Freistaat geströmt. Der gegen die Briten eingestellte Präsident Paulus Ohm Krüger sah sich genötigt, den ungebetenen »Uitlanders«, die mittlerweile bereits zwei Drittel der Bevölkerung stellten, die politische und rechtliche Gleichstellung zu verwehren. Auf diese Weise wollte er den Buren ihr Land erhalten. Genau das lieferte den Briten den Vorwand, sich für die Rechte der Ausländer stark zu machen. Präsident Krüger blieb stur, indem er den Briten vorwarf, dass es ihnen in Wahrheit nicht um die Freiheit der »Uitlanders«, sondern um den Plan ging, ein geschlossenes britisches Kolonialreich zu errichten, das von Ägypten bis nach Südafrika reichen sollte. Es kam zum Krieg. Wie alle männlichen Buren sah auch Fritz sich plötzlich genötigt, in die Armee einzutreten. Gemeinsam mit seinem Vater kämpfte er im Oktober 1899 gegen die Briten. Nach anfänglichen Erfolgen der Buren wendete sich das Blatt jedoch schnell. Im Januar 1900 erhielt die britische Armee 60 000 Mann Verstärkung aus dem Mutterland. Innerhalb kürzester Zeit wurden die von den Buren
eroberten britischen Gebiete zurückgewonnen und die Burengebiete besetzt. Am 13. März 1900 fiel Bloemfontein, die Hauptstadt des Oranje-Freistaats, am 5. Juni dann die Hauptstadt des Transvaal, Fritz’ Heimatstadt Pretoria. Präsident Krüger floh nach Europa. Der Krieg schien für die Briten gewonnen. Doch der Wille der Buren war längst noch nicht gebrochen. Sie setzten in den folgenden zwei Jahren auf einen für die Briten äußerst verlustreichen Guerillakrieg, indem sie in kleinen Gruppen britische Verbände und Ortschaften überfielen und wichtige Verbindungslinien zerstörten. Den Briten blieb nichts anderes übrig, als auf die Strategie der »verbrannten Erde« zu setzen. Ohne Rücksicht auf Verluste zerstörten sie die Farmen in den Guerillagebieten und vernichteten die Ernte ihrer Gegner, um die Landbevölkerung auszuhungern. Rund 120000 Farmbewohner, vor allem Frauen und Kinder, wurden in sogenannten Konzentrationslagern interniert. Über 26 000 Menschen starben aufgrund der unmenschlichen Haftbedingungen. Am 31. Mai 1902 wurde schließlich der Friede von Vereeniging geschlossen, der die schrecklichen Auseinandersetzungen beendete. An Körper und Seele versehrt war Fritz aus den Scharmützeln zurückgekehrt. Sämtliche Träume und Illusionen hatte er nach den Gewalttaten, die er hatte erleben müssen, begraben. Sein Vater war neben ihm im Krieg gefallen,
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