Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
gerungen. Sie hat sie überzeugen können, dich wieder loszulassen; leider ist es nicht vollständig gelungen. Dein Verstand ist verwirrt und noch nicht aus der Welt der Geister zurückgekehrt. Wer weiß, ob das jemals wieder geschehen wird.«
Der Alte begann zu singen und sich dabei rhythmisch zu bewegen. Doch als er sah, dass Kantla dadurch noch unruhiger wurde, hörte er wieder auf.
Seine Hände hielten die Gegenstände, die er aus seiner Tasche gekramt hatte, immer noch fest umschlossen. Der alte Buschmann zögerte, die Magie, die in ihnen wohnte, freizusetzen.
»Die Menschen meines Volkes sind der festen Überzeugung, dass die Tränen im Bauch der Erde am besten aufgehoben sind«, versuchte er zu erklären. »Solange sie dort liegen, bleibt das Leid erträglich. Manchmal gelangen die Tränensteine durch Geisterkraft an die Erdoberfläche. Kauha will die Menschen dann prüfen. Wer
die Tränensteine zu sehr beachtet, wird von Leid und Unglück befallen. Wir Buschmänner schauen deshalb weg und versuchen so das Unglück von uns fernzuhalten. Einige von uns wissen sogar, wo die Tränen in großer Zahl zu finden sind, aber sie hüten ihr Geheimnis. Kein Buschmann will sich die Schuld geben, dass er möglicherweise Unglück über seine Mitmenschen gebracht hat. Und doch gibt es Situationen, wo wir ihre Magie benutzen!«
Er warf Kantla einen eindringlichen Blick zu und suchte in seinem Gesicht nach einem Zeichen von Verstehen. Doch Kantla schien nichts zu begreifen.
»Ich habe große Schuld auf mich geladen«, klagte er. »Ich wollte dein Freund sein und dir helfen, weil du auch meinem Volk immer geholfen hast. Seit du hier wohnst, können wir auch wieder dahin kommen, wo mehr Feldkost und mehr Tiere zu finden sind.«
Umsonst suchte er in Kantlas Augen nach Verständnis. Er starrte immer noch vor sich hin und zeigte keinerlei Regungen. »Ihr weißen Männer seid so anders. Ihr seid in dieses Land gekommen, um die Tränensteine aus dem Bauch der Erde zu holen. Obwohl sie nur Unglück auf die Erde bringen, sucht ihr nach ihnen. Merkt ihr denn nicht, dass sie Unglücksboten sind und nur Zerstörung und Not über uns alle bringen? Meine Leute haben gelernt, den Versuchungen der Tränensteine aus dem Weg zu gehen. Deine Leute morden sogar dafür.«
Er seufzte.
»Ich bin Debe, und ich lebe schon viele Jahreszeiten auf dieser Erde. Und doch habe ich die Erfahrungen unserer Ahnen missachtet. Du hast mein Volk immer geachtet und versucht, uns zu verstehen. Deshalb habe ich dir geholfen. Obwohl ich wusste, dass ich einen Fehler beging, habe ich dir ein paar Tränensteine gebracht. Du hast mir erzählt, dass sie dir helfen können, dass wir auch weiterhin auf dein Land kommen können. Sag mir, wie kann ich einem Bruder meine Hilfe verweigern, wenn er sie doch braucht?«
Seine milchig braunen Augen bekamen einen schimmernden Glanz. Er weinte und schien aufrichtig verzweifelt.
»Warum zwingst du mich, diesen Fehler noch einmal zu wiederholen?«, schluchzte er aufgebracht. »Neues Unglück wird über uns hereinbrechen, und wieder werde ich die Schuld daran tragen.«
Seine Knöchel traten weiß aus seiner faltigen, sonnengebräunten Haut hervor, so fest hielt er seinen Schatz verborgen. Noch einmal rang er mit sich und kämpfte gegen seine Überzeugung. Mit geschlossenen Augen hielt er ihm schließlich die verschlossene Faust entgegen.
»Möge die Macht der Tränensteine dieses Mal etwas Gutes bewirken«, meinte er traurig und öffnete die Faust.
Das Glitzern der rohen Diamanten beeindruckte Kantla nicht. Er betrachtete die unbehauenen Edelsteine trotz ihrer unbeschreiblichen Schönheit ohne Gier. Und doch lösten sie eine Empfindung in ihm aus. Ihr Anblick berührte etwas in seiner Seele. Er löste eine Flut verlorener Erinnerungen aus. Wie ein Blitz tauchte das Gesicht einer übermäßig geschminkten, hellhäutigen Frau auf.
Lucie.
Der Name sprang wie eine aufgeplatzte Erbsenschote in seine Erinnerung und löste eine weitere Flut von blitzartigen Erinnerungen aus.
Grünwald.
Owitambe .
Sarah.
Raffael, sein kleiner Sohn.
Und wie ein leiser, schmerzlicher Nachhall: Rachel.
Ein halbes Leben spülte sich mit aller Wucht in sein Bewusstsein und war plötzlich wieder Teil seines Selbsts.
Kantla war wieder in der Wirklichkeit angekommen und erkannte sich als Johannes von Sonthofen.
Enthüllungen
In Jellas Kopf brummte es wie in einem Bienenschwarm. Sie war im Geräteschuppen eingesperrt und mit Händen und
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