Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
beeindruckt. Ihre wachen Augen musterten den eitlen Mann unverhohlen und neugierig, wie es ihre Art war. Normalerweise wagten nur die Offiziere der Kaiserlichen Garde solch einen direkten Blickkontakt. In der gehobenen Gesellschaft war solch ein Benehmen unangebracht, ja sogar ungehörig. Auch Jella hatte man beigebracht, im Gespräch mit Älteren und insbesondere mit Männern schamhaft den Blick zu senken. Doch das widerstrebte ihrem irischen Naturell. Ihrem Blick fehlte die Demut, die andere Frauen üblicherweise Männern und einer hochgestellten Persönlichkeit sowieso entgegenzubringen pflegten. Sie war einfach froh, ihrem Ziel ein
Stück näher gerückt zu sein, und begann zu reden, noch bevor sie dazu aufgefordert worden war. Etwas nervös pustete sie sich eine widerspenstige Strähne aus ihrem Gesicht und konzentrierte sich auf das, was sie sagen wollte.
»Was für eine Ehre, Ihnen zu begegnen, werter Herr Professor Virchow«, sprudelte es aus ihr heraus. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle? Jella von Sonthofen. Ich möchte gern bei Ihnen studieren.«
So, jetzt war es heraus!
Sie erwartete eine Antwort. Doch der Professor schwieg.
Erst, als sie die Fassungslosigkeit in Virchows Gesicht erkannte, schwante ihr, dass hier etwas ganz und gar schieflief. Es war nur zu offensichtlich, dass ihre direkte Art bei dem Wissenschaftler nicht besonders gut angekommen war. Es war ein Fehler gewesen, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Hilflos, als könne sie so ihren Fauxpas ungeschehen machen, hob sie beide Handflächen nach oben. Professor Virchows Gesicht hatte mittlerweile eine tomatenrote Farbe angenommen. Er rang immer noch um Fassung. Statt einer Antwort wackelte er ungehalten mit seinem Kopf und wedelte wild gestikulierend mit seinen Armen nach einem seiner Gehilfen, die ihm in gebührlichem Abstand gefolgt waren. Es war nur zu offensichtlich, dass er Jella rasch loswerden wollte. Eilfertig kam sogleich ein älterer Student herbei. Sein schräg sitzendes Käppi wies ihn als Burschenschaftler einer schlagenden Verbindung aus. Dem Professor gegenüber deutete er eine zackige, respektvolle Verbeugung an, bevor er Jella mit einem abfälligen, überheblichen Blick streifte. Jella funkelte zurück, wobei sich ihre kräftig geschwungenen Augenbrauen beinahe berührten. Ihr Missfallen über die Arroganz des Studenten war in ihrem Gesicht zu lesen.
»Schaffen Sie mir diese... diese Suffragette vom Hals!«, platzte der Professor los. Die Worte knallten wie eine Salve Gewehrschüsse aus ihm heraus.
Jella war überrascht. Der Professor hatte sie völlig falsch verstanden.
»Für wen halten Sie mich? Ich bin doch keine Sufragette!«, verteidigte sie sich entsetzt. »Das ist ein Missverständnis. Ich habe mit den Frauenrechtlerinnen nichts am Hut. Mein einziger Wunsch ist, an dieser Universität zu studieren. Sehen Sie selbst, ich habe ein ausgezeichnetes Abitur.« Hastig griff sie nach der Mappe unter ihrem Arm, öffnete sie und zog das Zeugnis hervor. »Ich möchte Sie einfach nur bitten, mich anzuhören. Es dauert auch nicht...«
»Abitur, eine Frau! Dass ich nicht lache!«, wehrte Virchow Jellas Bitte ungehalten ab. Seine Haltung drückte die ganze Verachtung aus, die er studierwilligen Frauen gegenüber empfand. Ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, gab er dem Studenten das Zeichen, die ihm so unwillkommene Person zu entfernen.
Im gleichen Moment spürte Jella auch schon den festen, unmissverständlichen Griff des Studenten an ihrem Arm, der sie ohne viel Federlesens, aber mit erstaunlicher Kraft vom Professor weg in Richtung Haupteingang führte. Wütend versuchte sie sich loszureißen. Doch der Student schleppte sie in eisernem Klammergriff bis vor die Tür der Universität.
»Verschwinden Sie, Fräulein!«, verabschiedete er sich verächtlich. »Mädchen wie Sie sollten lieber etwas Anständiges tun, statt sich in Männergeschichten einzumischen!« Damit verschwand er grußlos in dem Gebäude. Jella schnaubte vor Wut und Enttäuschung. Ihr Brustkorb hob und senkte sich vor Aufregung, während sie ihre Hände zu Fäusten ballte und sie drohend in Richtung des Studenten hob. Wütend wie ein Bullterrier stapfte sie, ihre Mappe mit den Zeugnissen unter den Arm geklemmt, in Richtung Brandenburger Tor davon.
Ihre Empörung machte sie so blind, dass sie den Mann nicht bemerkte, der gerade das schmiedeeiserne Tor vor dem Universitätsplatz passierte. Die Wucht, mit der die beiden
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