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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Mennen
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ähnlich dem ihrer Mutter, war zu hören. Dann nichts mehr. Jella wartete noch eine ganze Weile ab, bis sie glaubte, dass alle hinter der Bühne verschwunden waren. Dann erst trat sie aus ihrem Versteck heraus. Das Gemurmel hinter dem Vorhang verriet ihr, dass noch nicht alle Zuschauer den Raum verlassen hatten. Vielleicht gelang es ihr ja, unbemerkt über die Bühne in den Zuschauerraum zu fliehen und dann in der Menge unterzutauchen. Im Schutz des Vorhangs schlich sie in Richtung des Durchgangs auf die Bühne. Endlich hatte sie ihn erreicht. Ihre Hand griff nach dem Schlitz, um hindurchzuschlüpfen, als sie plötzlich eine Hand um ihren Fußknöchel spürte. Ein eisiger Schreck durchfuhr sie. Panik und der Drang, laut loszuschreien, kämpften in ihr, bevor sie einen Blick nach unten wagte. Zu ihrer Erleichterung, aber auch zu ihrer Überraschung, berührte nicht der widerliche Kerl ihr Bein, sondern eine zarte, braune Hand, die zu einem schmächtigen, faltigen Körper gehörte, nämlich dem der hustenden älteren Hottentottenfrau. Tief in die Falten des Vorhangs geschmiegt kauerte sie vor ihr und sah sie unverwandt an. In einer leisen, von Klick- und Schnalzlauten durchsetzten Sprache redete sie auf sie ein. Jella war völlig irritiert. Anfangs hörten sich die Worte wie ein unbekümmerter Kinder-Singsang an. Doch je länger sie zuhörte, desto differenzierter wurde die Sprachmelodie und drang bis in ihr tiefstes Inneres vor. Sie verstand kein Wort, und doch fühlte sie, dass die Worte der Frau
einen Sinn hatten und direkt an sie gerichtet waren. Die Frau versuchte, ihr eine Botschaft zu übermitteln. Zunehmend in ihren Bann gezogen ließ sich Jella von den leicht schräg stehenden, milchig braunen Augen der Hottentottin einfangen. Die Iris war nicht klar vom übrigen Augapfel getrennt, sondern sah aus, als läge ein hauchdünner Schleier über allem. Und dann geschah etwas Seltsames mit ihr. Jella hatte plötzlich das Gefühl, dass sich ihr Geist von ihrem Körper zu lösen begann. Die reale Welt um sie herum wurde bedeutungslos. Die Augen der alten Frau nahmen sie gefangen, umwoben ihre Gedanken mit freundlichen Worten und schlossen sie wie in einen Seidenraupenkokon ein. Jella fühlte sich behütet und sicher. Voller Staunen nahm sie wahr, dass sich das Aussehen der alten Frau veränderte. Die tiefen Furchen ihres Gesichtes glätteten sich, bis sie eine faltenfreie Haut bekam. Gleichzeitig änderte sich die Form ihres Gesichts; es wurde runder und weicher. Ehe sie sich’s versah, saß keine alte Frau mehr vor ihr, sondern ein junges Mädchen in ihrem Alter. Sie hatte ein offenes Gesicht mit einem großen Mund voller blendend weißer Zähne. Ihr apricotfarbener, nackter Körper war zierlich und trotzdem kraftvoll und elegant wie der einer Gazelle. Kleine, struppige Haarbüschel wuchsen auf ihrem Kopf wie Inseln. Ihre samtbraunen Augen waren klar und strahlend. Für einen kurzen Augenblick wirkten sie erschreckt, doch dann entspannten sich die Gesichtszüge des Hottentottenmädchens und machten einem spitzbübischen Lächeln Platz, das Jellas Herz erwärmte. Ein Gefühl großer Vertrautheit machte sich zwischen ihnen beiden breit, und auch Jella lachte. Sie bückte sich und griff nach der kleinen, zierlichen Hand. Wie nah sie sich diesem fremden Menschen fühlte! Sie fühlte sich so stark und selbstbewusst wie schon sehr lange nicht mehr und wollte so gern mehr über das Schicksal der Fremden erfahren. Jella setzte zu einer Frage an. Doch im selben Augenblick wurde das Mädchen von einem gewaltigen Hustenanfall überwältigt.
Er schüttelte sie wild durch, ergriff jede Faser ihres Körpers. Blut quoll in einem Schwall aus ihrem Mund; der Anfall ließ sie vor Schwäche zusammensinken. Noch einmal drückte sie Jellas Hand, dann kippte sie kraftlos zur Seite. Jella kniete sich nieder und zog das Mädchen auf ihren Schoß, um ihr das Atmen zu erleichtern. Behutsam drehte sie es wieder zu sich her. Doch der Mensch, den sie auf ihrem Schoß hatte, war nicht mehr das Mädchen, das ihr so vertraut war, sondern die alte Hottentottenfrau, die sie aus kraftlos verschleierten Augen ansah.

Jetzt erst recht

    Professor Virchow stolzierte in seiner ganzen Würde über den breiten, menschenleeren Gang, der zum Foyer der Friedrich-Wilhelms-Universität führte. Trotz seiner achtzig Jahre hielt sich der alte Herr aufrecht, immer in dem Bewusstsein, dass er einer der bedeutendsten Mediziner seiner Zeit war. Sein weißer,

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