Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
die holzvertäfelte Wand lehnte und Jella geduldig ansah. Statt einer Antwort zog Jella das Kuvert aus ihrer Tasche und leerte den Inhalt auf den Tisch.
»Sehen Sie selbst«, meinte sie verbittert. »Hier steht es schwarz auf weiß.« Sie reichte ihm das Anschreiben ihres Großvaters. Zille nahm es und las es zunehmend beunruhigt durch.
»Werte Jella!
All meine Versuche, Dich zur Vernunft zu bringen, sind bislang gescheitert. Das bedaure ich sehr .
Aus diesem Grunde sehe ich mich zu weiteren Schritten genötigt. Offensichtlich hast Du das unzähmbare Temperament Deiner Mutter und die Starrköpfigkeit und Unbelehrbarkeit Deines Vaters geerbt. Das ist eine unselige Mischung, die es mir unmöglich macht, Dich zu Vernunft und Anstand zu erziehen.
Da Gewalt einem Mann wie mir fernliegt, sehe ich mich nach reiflicher Überlegung genötigt, mich von Dir abzuwenden. Ich nehme dabei Deine Drohung, Dich notfalls meinem Einfluss mit Gewalt zu entziehen, durchaus ernst.
Infolgedessen muss ich Dich davon in Kenntnis setzen, dass ich Dich enterben werde. Du wirst damit jeglichen Anspruch auf unseren Familienbesitz und das damit verbundene Vermögen verlieren. Es ist meine heilige Pflicht, unsere über Jahrhunderte erworbenen Güter in verantwortungsvolle Hände zu übergeben. In Deinem unreifen Verstand erkenne ich dagegen nur Willkür und Flausen.
Dennoch bin ich geneigt, Dir eine letzte Chance zu geben, und biete Dir noch ein letztes Mal an, reumütig zu mir zurückzukehren. Ich stehe zu meinem Versprechen, mit einer Vermählung zu warten und Deine beruflichen Wünsche zu respektieren. Ich habe immer nur das Gute der Menschen im Auge gehabt und war und bin bestrebt, Dir ein standesgemäßes Leben zu bieten.
Es ist mir durchaus bewusst, dass Du im Augenblick eine schwere Zeit erlebst. Der Verlust Deiner Mutter mag Dich schwer erschüttern. Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen, Dir zum Trost ein lange gehütetes Geheimnis zu enthüllen. Ich habe mich auch dazu durchgerungen, weil Deine Mutter mit ihren unstandesgemäßen Forderungen nun keine Rolle mehr spielt.
Es war die heilige Pflicht meinen Vorfahren gegenüber, so zu handeln, wie ich gehandelt habe. Das ist keine Rechtfertigung, sondern meine Überzeugung.
Lies die beiliegenden Berichte und Briefe, und finde Trost darin, dass Dein Vater noch lebt!
Entscheide Dich für ein standesgemäßes Leben an meiner Seite, und begehe nicht die Fehler Deines sturköpfigen Vaters!
Ich appelliere an Deinen Verstand
Hochachtungsvoll
Baron Gernot von Sonthofen
»Mannomann!« Heinrich Zille fuhr sich mehrmals durch seinen Bart. »Das ist ganz schön starker Tobak. Dann lebt dein Vater also wirklich noch?« Er deutete mit seinem Kopf auf die anderen Umschläge, die noch verstreut auf dem Tisch lagen.
»Laut dieser Briefe hält er sich irgendwo in der deutschen Kolonie in Südwestafrika auf«, antwortete Jella. »Er arbeitet dort in einer der Minen irgendwo in der Wüste.«
»Aber das ist doch wundervoll! Hast du eine Anschrift? Dann kannst du ihm schreiben.«
»Leider nicht. Die letzten Informationen über meinen Vater sind schon mehrere Jahre alt. Danach verlieren sich seine Spuren. Außerdem, was soll ich ihm schon schreiben? Er wird nichts von mir wissen wollen.«
»Das weißt du erst, wenn du ihn gefragt hast.«
»Das muss ich nicht!« Jellas Reaktion war ziemlich heftig. »Mein ehrenwerter Großvater hat in weiser Voraussicht dafür gesorgt, dass er nichts von mir wissen will. Sehen Sie selbst.«
Sie reichte ihm die anderen Umschläge. Zille studierte sie sorgfältig. An seinen begleitenden Kommentaren war unschwer zu erkennen, wie sehr ihn das Gelesene aufwühlte. Schließlich hatte er sich durchgearbeitet.
»Mannomann«, wiederholte er sich. »Jetzt verstehe ich, dass du so durcheinander bist.«
»Großvater hat immer gewusst, dass mein Vater lebt. Er hat ihn durch einen Detektiv beobachten lassen. Jedes Jahr hat er von einem
gewissen Igor Landwein in Svakopmund einen detaillierten Bericht bekommen. Aber das ist noch nicht alles. Aus den Papieren ist auch ersichtlich, dass mein Großvater uns über all die Jahre seine Briefe vorenthalten hat. Mein Vater hatte in den ersten Jahren sehr wohl geschrieben. Er hat meine Mutter nie vergessen und hätte uns bestimmt zu sich geholt. Auf irgendeine Weise ist es meinem Großvater auch gelungen, Mutters Briefe abzufangen. Er hat systematisch jeden Kontakt unterbunden. Wenn der Baron nicht gewesen wäre,
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