Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Blick bohrte sich in sie hinein. Jella konnte nicht anders.
»Ich verspreche es.«
Endlich ließ die Hand los.
Jella war klar, dass sie die fantasierenden Worte des Todkranken nicht ernst zu nehmen brauchte, und trotzdem hatte das Gespräch sie tief berührt. Der Mann hatte etwas in ihr hervorgeholt, was sie längst vergessen hatte. Er hatte sie an ihre ursprünglichen Pläne und Träume erinnert. Es wurde Zeit, dass sie ihr Leben wieder in ihre eigenen Hände nahm. Heinrich Zille hatte recht: Sie gehörte nach Afrika - und vielleicht auch zu ihrem Vater.
Im Sommer des Jahres 1903 war es schließlich so weit. Am fünfundzwanzigsten Juli fuhr ein Dampfer der Woermann-Linie von Hamburg in Richtung Deutsch-Südwest ab. Per Telegraphenleitung hatte sich Jella einen Platz auf dem Zwischendeck reservieren lassen. Vom Hamburger Bahnhof begab sie sich direkt zum Hafen auf den Petersen-Kai. Die Einschiffung sollte noch am selben Tag erfolgen. Jella stellte sich in einem der Schuppen am Fahrkartenschalter an, um ihre Passage zu bezahlen. Insgesamt hatte die Hans Woermann, mit der sie fahren würde, Platz für hundertdreißig Passagiere. Während die dreißig Plätze auf dem Zwischendeck alle ausgebucht waren, blieben in der ersten und zweiten Klasse etliche Plätze frei. Die Herrschaften, die die bequemeren Überfahrten bezahlt hatten, standen etwas abseits und überprüften bereits, wie ihr Gepäck verladen wurde. Vor dem Schalter für die Zwischendeckpassage herrschte großes Gedränge. Handwerker, Dienstmädchen, eine Krankenschwester und zwei, drei Auswandererfamilien mit Seekisten und Koffern standen an. Einige unterhielten sich aufgeregt über die bevorstehende Reise, andere standen still und in sich versunken in der Reihe und sorgten sich um das bevorstehende Abenteuer. Für die meisten bedeutete
die Abreise einen großen Schritt in ein neues, völlig fremdes Leben. Jella kam sich mit ihrem kleinen Gepäck richtig verloren vor. Sie hatte lediglich zwei Reisetaschen, in denen sie ihr kümmerliches Hab und Gut mühelos untergebracht hatte. Das einzig Wertvolle darin war das medizinische Besteck, das ihr Professor Koch zum Abschied geschenkt hatte, eine Zeichnung von ihr, die sie von Heinrich Zille bekommen hatte, und das silberne Medaillon, in dem eine Fotografie ihrer Mutter eingefasst war. Etwas abseits stand eine Kompanie Schutztruppensoldaten und wartete auf den Befehl, sich einzuschiffen. Sie standen in lockeren Gruppen herum und beäugten die jungen Mädchen, die an Bord gehen sollten. Jellas Blick fiel auf einen Soldaten, der durch seine Art und sein Aussehen besonders herausstach. Es war ein kleiner, rundlicher Mann mit einem viel zu großen Schutztruppenkäppi. Eine dickglasige Hornbrille ließ seine Augen übergroß erscheinen, während er gestenreich seine Kameraden durch irgendwelche Geschichten zu beeindrucken versuchte. Kurzum, der Mann war ein Ausbund an Hässlichkeit. Endlich fiel Jella ein, woher sie den Mann kannte. Es war der Museumsangestellte aus dem Berliner Naturkundemuseum. Sie hatte ihn immer für ein Großmaul gehalten und nie gedacht, dass er sein Vorhaben, zu den Schutztruppen zu gehen, in die Tat umgesetzt haben könnte. Jella musste schmunzeln. Wie ein Feldwebel sah der Mann allerdings ganz und gar nicht aus. Sie kannte sich mit den Offiziersrängen nicht allzu gut aus, aber offenkundig war er nichts anderes als ein einfacher Gefreiter. Knorr musste ihre neugierigen Blicke gespürt haben. Auf jeden Fall drehte er sich zu ihr um und schien sie ebenfalls zu erkennen. Mit hastigen Schritten stürmte er auf sie zu und schlug zackig seine Hacken zusammen.
»Gefreiter Knorr. Immer zu Diensten, schönes Fräulein!«
»Jella von Sonthofen, haben Sie besten Dank.«
»Ich habe nicht gedacht, auch Sie hier wiederzufinden«, bemerkte
Knorr und fügte verschwörerisch hinzu: »Afrika ist ein gefährliches Pflaster.«
Jella unterdrückte ein Lachen, weil Knorr zur Bekräftigung seiner Bemerkung erst einmal kräftig die Nase hochzog.
»Nehmen Sie etwa auch die Hans Woermann ?«, fragte sie höflich.
»Selbstverständlich! Meine Kameraden und ich werden in dem Schutztruppengebiet Deutsch-Südwestafrika zur Unterstützung unserer Einheiten gegen die Aufständischen gebraucht. Es gibt Gerüchte, dass die Neger einen Aufstand proben.«
Alfred Knorr warf sich in die Brust. Er war sichtlich stolz, Teil einer so wichtigen Unternehmung zu sein, und sah in Jella auch gleich ein willkommenes Opfer, um
Weitere Kostenlose Bücher