Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
seine Kenntnisse an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen.
»Die Hereros, eines der vielen Völker, die in unserem Schutzgebiet leben, beschweren sich über eine angeblich ungerechte Landverteilung. Unsere Aufgabe ist es, wieder Recht und Ordnung herzustellen. Das Land der Neger wurde ordnungsgemäß gekauft und bezahlt. Das müssen wir dem schwarzen Pack klarmachen - zur Not auch mit Gewalt!«
Knorr senkte seine Stimme.
»Überhaupt herrscht da unten zwischen den unterschiedlichen Völkern viel Durcheinander. Ein Aufstand ist nicht unwahrscheinlich. Es ist ein Segen, dass sich die deutsche Reichsregierung dieser Gebiete angenommen hat. Außerdem...«
»Der Nächste bitte!«
Jella war dankbar, dass sie sich dem Redefluss des mitteilungssüchtigen Gefreiten entziehen konnte. Der Mann redete ja ohne Punkt und Komma und hätte ihr bestimmt die gesamte deutsche Kolonialgeschichte erzählt, wenn er nicht durch den Aufruf des Fahrkartenverkäufers unterbrochen worden wäre. Sie verabschiedete sich hastig und bezahlte ihre Passage. Stolze zweihundertundfünfzig Mark kostete die Überfahrt. Damit war über die Hälfte
des Geldes, das Heinrich Zille ihr gegeben hatte, verbraucht. Jella nahm es gelassen. Es machte ihr nichts aus, genügsam zu leben.
Mit klopfendem Herzen begab sie sich zum Kai und sah sich das mächtige Dampfschiff an, das sie in eine neue Heimat bringen würde. Es war ein seltsames, fast erhebendes Gefühl zu wissen, dass in dem Moment, in dem sie das Schiff betrat, die Brücken zu ihrem früheren Leben abgebrochen sein würden. Jella fröstelte plötzlich, obwohl die Temperaturen sommerlich warm waren. Die Reisetaschen in der Hand, begab sie sich zu dem Schiffs-offizier, der die Fahrkarten entgegennahm. Er wies ihr freundlich den Weg über den Landungssteg in den Bauch des großen Schiffes. Ein schmaler, dunkler Gang führte durch sein Inneres. Es roch nach Rost und Scheuermitteln. Verschiedene Metalltreppen führten hinauf zum Zwischendeck. Ihre Unterkunft befand sich direkt unter dem luftigen Oberdeck, wo die erste und die zweite Klasse wesentlich komfortabler untergebracht waren. Der Raum, in dem sie die nächsten dreißig Tage verbringen würde, war nicht mehr als ein fensterloser Schlafsaal mit eisernen Stockbetten. Es lag im Heck des Schiffes, wo es bei Unwetter und kabbeliger See am meisten schlingerte. Wie sehr, sollte Jella schon bald erfahren. Vor dem Schlafsaal befanden sich die Maschinen- und Laderäume mit der Fracht. Neugierig beäugte Jella ihre Unterkunft. Die Betten schienen sauber. Was die allgemeine Hygiene betraf, so würde sich diese sicherlich im Laufe ihrer Überfahrt eher verschlechtern als verbessern. Davor war Jella schon gewarnt worden. Hans, Zilles mittlerer Sohn, hatte sich vor ihrer Abfahrt bestens darüber informiert und Jella so einiges über die Überfahrt erzählt. Sie hoffte inständig, dass er nicht recht behalten würde.
Die meisten Betten in dem Schlafsaal waren schon vergeben.
Einer jungen Frau fiel Jellas suchender Blick auf.
»Kommen Sie, nehmen Sie dieses Bett«, meinte sie freundlich.
Sie trug das Habit einer Krankenschwester und wies auf das Stockbett, das direkt neben der Eingangstür stand.
»Das hier ist ein guter Platz«, behauptete sie.
»Ich weiß nicht«, zögerte Jella. Ihr schien der Platz viel zu belebt, weil alle Mitbewohner ständig an ihr vorbeigehen würden. Die Krankenschwester schien ihre Gedanken zu erraten. »Es ist vielleicht etwas turbulent hier, aber wenn wir erst mal in der Nähe des Äquators sind, dann werden Sie froh sein, wenn Sie einen Hauch von frischer Seeluft spüren können. Und wenn es stürmisch ist, werden Sie ebenfalls froh um etwas frischere Luft sein. Und die gibt es nun mal nur in diesen Betten.« Sie lächelte verschwörerisch. »Bei meiner ersten Schiffspassage habe ich den Fehler gemacht und mich ins hinterste Eck verzogen. Ich sage Ihnen, ich wäre beinahe erstickt. Die ganze abgestandene Luft staut sich dort hinten, während es hier vorn immer einigermaßen erträglich bleibt. Mein Name ist übrigens Lisbeth Eberle.«
Jella stellte sich ebenfalls vor. Lisbeths Argumente hatten sie längst überzeugt. Sie verräumte ihre Reisetaschen und testete das Bett. Die beiden jungen Frauen freundeten sich schnell an. Jella erfuhr, dass die Schwäbin Lisbeth bereits über reichlich Afrika-Erfahrung verfügte. Sie hatte schon früher für drei Jahre in Deutsch-Ostafrika gearbeitet. Dann war sie wieder in ihre Heimat
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