Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
zurück?«
Am nächsten Morgen ging es endlich los. Fritz van Houten hatte sie und Lisbeth am Vortag in der Nähe des Leuchtturms abgesetzt, wo er von einem dunkelhäutigen Mann namens Jakob erwartet worden war. Da es wohl einige Schwierigkeiten mit dem Weitertransport seiner Fracht gab, musste er sich schnell verabschieden. Auch er wollte am nächsten Morgen aufbrechen, allerdings in den Norden.
»Eigentlich schade, dass du ihn nicht mehr sehen wirst«, hatte Lisbeth mit einem Augenzwinkern zu Jella gemeint. »Ich hatte das Gefühl, dass er sich sehr für dich interessiert.«
Jella war puterrot geworden. »So ein Unsinn«, hatte sie abgewehrt. »Der Mann ist mir völlig gleichgültig.«
Auch an diesem Morgen hielt dichter Nebel Svakopmund fest umhüllt. Feinste Wassertröpfchen ließen einen salzigen Nachgeschmack auf der Haut zurück, während Jella versuchte, auf dem Bahnsteig ihre Freundin ausfindig zu machen. Hinzu kam der dichte Qualm, der aus den Schornsteinen der beiden Lokomotiven stieg. Wie ein Gespenst tauchte Lisbeth unvermittelt aus der grauen Suppe vor ihr auf. Sie stand mit ihrem Gepäck direkt neben den grauschwarzen Lokomotiven, deren ächzende und stöhnende Maschinen wie gequälte Drachen jaulten. Sie umarmte ihre Freundin herzlich und zog sie in Richtung des ersten Waggons, in dem die zivilen Reisenden mitfuhren. Die beiden hinteren Waggons waren für die Schutztruppensoldaten reserviert. Außer den beiden Frauen fuhren noch zwei Kaufleute und ein Vermessungsingenieur mit. Schon bald sollte sich herausstellen, dass die Reise im ersten Waggon einen großen Vorteil bot, da der schmutzige Qualm des Schornsteins direkt über ihre Köpfe hinwegzog, während ihn die Soldaten unter ungünstigen Windverhältnissen immer wieder ungehindert abbekamen.
Die Bahnstrecke führte über Jakalswater, Karibib und Okahandja nach Windhuk. Langsam, aber stetig kämpften sich die beiden Lokomotiven mit ihren Waggons über die Geröllfelder der Namib-Wüste von einer Bahnstation zur nächsten. Die Zwischenstopps waren notwendig, um immer wieder Wasser für die Dampfmaschinen aufzunehmen. Die meisten Bahnstationen waren nichts anderes als ein Schuppen mit einem Wassertank, der von einem abgestellten Schutztruppensoldaten bewacht wurde. Für Jella und die anderen Fahrgäste war dies immerhin eine willkommene Gelegenheit, sich die Füße zu vertreten und sich, falls möglich, mit neuem Proviant einzudecken. Immer wieder musste der Zug auf
offener Strecke anhalten, weil die Gleise von Sandwächten zugeweht waren. Auf Kommando sprangen die Schutztruppensoldaten aus ihren Waggons und schaufelten dann gemeinsam mit den Heizern die Hindernisse beiseite. Eine beschwerliche Knochenarbeit, auch wenn jetzt im Winter die Hitze viel erträglicher war als in den Sommermonaten. Am zweiten Tag ihrer Reise braute sich aus heiterem Himmel ein für diese Jahreszeit ungewöhnliches Gewitter zusammen. Schwarze Regenwolken türmten sich aus dem Nichts zu einer gigantischen Wolkenwand auf. Blitze zuckten und schleuderten ihr Licht um sich wie wild gewordene Furien. Jella hatte noch nie in ihrem Leben lauteren Donner gehört und zuckte bei jedem Schlag bis ins Mark getroffen zusammen. Sie hatte das Gefühl, mitten in eine Schöpfungsszenerie hineingeraten zu sein. Wenn Gott die Welt wirklich so erschaffen hatte, wie es die Bibel glauben machen wollte, dann musste sich das alles hier in Afrika abgespielt haben. Der plötzlich einsetzende Regen war heftig und traf schräg auf die Erde. Wie Gewehrkugeln malträtierten die auffallenden Tropfen den staubigen Wüstensand, schleuderten ihn hoch, sodass die Sandspritzer schnell die Fenster des Eisenbahnwaggons mit einer nassen Sandschicht überzogen. Dummerweise waren die Fenster nicht dicht, sodass die Fahrgäste bald ebenfalls mit feuchten Sandsprenkeln überzogen wurden.
So schnell das Gewitter aufgezogen war, so schnell war es auch wieder vorüber. Die ungewohnte Feuchtigkeit in der Luft ließ sofort drückende Schwüle aufziehen. Jella öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse und krempelte die Ärmel ein wenig hoch, während sie mit einem nicht mehr ganz sauberen Taschentuch ihre schweißgetränkte Stirn abtupfte. An diesem Abend waren alle froh, als sie im Bahnhof in Okahandja ankamen. Gemeinsam mit den Schutztruppensoldaten machten sich die Fahrgäste auf zur Festung. Dort gab es auch für Zivilisten Übernachtungsmöglichkeiten. Jella und Lisbeth teilten sich ein Zimmer. Nach
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