Der Ruf der Kiwis
notwendig hielt.
Am Anfang ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Biller-Mine hatte man sie oft nicht ernst genommen. Sachlich-konzentrierter Führungsstil – bei einem männlichen Chef sicher als Stärke verbucht – wurde einer Frau als Schwäche ausgelegt. Florence hatte sich nur durchsetzen können, indem sie Köpfe rollen ließ, und irgendwann begann ihr das Spaß zu machen. Inzwischen war sie bei Angestellten, Zulieferern und Geschäftspartnern gleichermaßen gefürchtet. Aber auch, wenn sie Zorn demonstrierte, blieb sie im Innern eiskalt, und ihre äußere Erscheinung litt nie darunter. Florence Billers »Bürouniform«, weiße Bluse und dunkelblauer, streng geschnittener Rock, wirkte immer wie frisch gebügelt und zeigte nicht mal im Hochsommer Schweißflecken. Ihr dickes braunes Haar war zu einem festen Knoten geschlungen, aus dem nicht die winzigste Strähne zu entweichen wagte.
An diesem Tag jedoch war das anders. Florence’ Sohn Ben hatte sie aus der Reserve gelockt, ihr Gesicht war gerötet, und aus ihrem Knoten hatten sich Locken gelöst, die jetzt ihr Gesicht umspielten und es paradoxerweise weicher wirken ließen. Ihr dezentes blaues Hütchen saß schief im Haar. Sie hatte sich offenbar nicht die Mühe gemacht, es vor dem Spiegel in ihrem Büro zu richten.
»Er hat sich mit einem Mädchen getroffen!«, erklärte sie empört und ging im Zimmer auf und ab. »Gegen meine ausdrückliche Anordnung!«
Caleb lächelte. »Geht es jetzt um das Mädchen als solches, um ein ganz bestimmtes Mädchen oder um die Anordnung?«, erkundigte er sich.
Florence funkelte ihn an. »Um alles zusammen! Er hat meinen Anweisungen Folge zu leisten! Und was das Mädchen angeht ... unter allen Mädchen dieser Welt muss es ausgerechnet diese Lilian Lambert sein! Dieses freche kleine Biest mit seiner äußerst fragwürdigen Abstammung!«
Caleb runzelte die Stirn. »Die kleine Lilian ist unzweifelhaft ein bisschen eigen«, bemerkte er vage. Tatsächlich kannte er das Mädchen nur vom Sehen sowie von Florence’ Schimpfereien über ihre Impertinenz am Telefon. »Aber was ist fragwürdig an der Abstammung von Timothy Lambert?«
»Elaine O’Keefe – oder sollte ich ›Lainie Keefer‹ sagen? – war eins von Madame Clarisse’ Mädchen. Und Lilian wurde wenige Monate nach der Hochzeit geboren. Muss ich mehr dazu sagen?«, fragte Florence.
Caleb seufzte. »Was das angeht, könnte man über Abstammungen so einiges anmerken ...«, murmelte er. »Aber Lainie war nie ein Freudenmädchen. Sie hat im Pub Klavier gespielt, nicht mehr. Tims Vaterschaft bei Lilian ist absolut unumstritten ...«
»Elaine O’Keefe hat ihren ersten Mann niedergeschossen!«, trumpfte Florence auf.
»Aus Notwehr, wenn ich mich recht erinnere.« Caleb hasste es, alte Geschichten aufzuwärmen. »Jedenfalls ist Tim wohlauf. Sie hat es sich also nicht zur Gewohnheit gemacht, und es dürfte sich auch kaum vererben. Dazu hat Ben die kleine Lambert bislang erst einmal getroffen. Es ist nicht die Rede davon, sie zu heiraten!« Caleb nahm sich den dritten Whiskey.
Florence runzelte darüber die Stirn.
»Das eine führt zum anderen«, erklärte sie. »Auf jeden Fall setzt sie ihm Flöhe in den Kopf. Das habe ich vorhin an seinem Platz im Büro gefunden.« Sie zog ein Blatt Papier aus der Tasche. »Er schreibt Gedichte!«
Caleb nahm den Zettel und überflog ihn kurz. »›Rose von Cambridge, dein ist mein Boot, dein will ich warten bis in den Tod.‹ Das ist allerdings bedenklich«, bemerkte Caleb und schüttete seinen Whiskey in einem Zug herunter. »Er mag ja ein guter Linguist sein, aber literarische Begabung sehe ich nicht.«
»Caleb, mach dich nicht lustig!«, warnte Florence und riss ihren Hut vom Kopf. »Der Junge ist renitent, und das werde ich ihm austreiben! Auch die Dichterei. Er wird lernen, wie ein Geschäftsmann zu denken!«
Caleb griff nach der Whiskeyflasche. »Nie«, sagte er mutig. »Dafür ist er nicht geboren, Florence. Genauso wenig wie ich. Er ist auch mein Sohn ...«
Florence wandte sich zu ihm um. Sie lächelte mit hässlich aufgeworfenen Lippen, und Caleb erschauerte, als er in ihrem Blick die gleiche Geringschätzung erkannte, wie sie so oft in den Augen seines Vaters stand.
»Offensichtlich die Ursache des Übels!«, bemerkte sie giftig. »Hörst du die Haustür? Ich glaube, er kommt nach Hause ...«
Florence lauschte. Caleb vernahm zwar nichts, doch seine Frau warf sich in Positur. »Das ist er! Und jetzt werde ich gehen
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