Der Ruf der Kiwis
kleidete sich seit Ende der
Begräbnisfeierlichkeiten wieder normal. Und die Maoris kannten den Brauch der Trauerkleidung sowieso nicht.
»Kann ich jetzt gehen, Miss Gwyn? Kiri will, dass ich in der Küche helfe ...« Wai hätte nicht fragen müssen, aber sie war neu im Haus und ein bisschen schüchtern. Die anhaltende Trauer und die düstere Atmosphäre des Hauses verunsicherten sie zusätzlich.
Gwyneira nickte dem Mädchen zu und raffte sich auf, ihr ein aufmunterndes Lächeln zu schenken.
»Natürlich, Wai. Vielen Dank. Und wenn du heute Abend heimgehst, nimm bitte ein paar Saatkartoffeln für Rongo mit. Ihr Schlaftee hat mir sehr geholfen.«
Das Mädchen nickte und huschte hinaus.
Die Maoris ... Gwyneira dachte mit Wärme an den auf Kiward Station ansässigen Stamm der Ngai Tahu und ausnahmsweise nicht nur an ihre treuen Hausangestellten und die Zauberin Rongo Rongo. Auch Tonga, der Häuptling und eigentlich ihr alter Widersacher, besaß neuerdings ihre Sympathien. Nach James’ Tod hatte er ihr geholfen, ein schier hoffnungsloses Dilemma zu lösen, nämlich die Frage nach einem Begräbnisplatz.
Wie auf jeder größeren Farm abseits der Städte gab es auch auf Kiward Station einen Familienfriedhof. Gerald Wardens Frau Barbara lag dort bestattet, neben ihr Gerald selbst, der Begründer von Kiward Station, und schließlich Paul, sein Sohn. Für Lucas Warden, Gwyneiras ersten Mann, hatte sie eine Gedenktafel aufstellen lassen. James McKenzie aber war kein Warden gewesen, ebenso wenig Charlotte, und in Gwyneira sträubte sich alles, die beiden neben dem eigentlichen Gründer der Farm bestatten zu lassen. Nun hatten die Greenwoods ohnehin darum gebeten, ihre Tochter in Christchurch beisetzen zu dürfen, und Jack hatte willenlos zugestimmt.
James jedoch ... Gerald Warden hatte seinen ehemaligen Vormann als Viehdieb verfolgt. Er wäre außer sich gewesen, hätte er von seiner Vaterschaft an seiner ersten Enkelin Fleurette gewusst. Die Männer jetzt im Tod nebeneinander zu betten erschien Gwyn makaber, aber sie brachte auch nicht die Energie auf, einen zweiten Begräbnisplatz auf der Farm zu bestimmen.
Zu benommen, um auch nur darüber nachzudenken, empfing sie Tonga widerwillig zu seinem Kondolenzbesuch als Vertreter der Ngai Tahu. Wie immer trug der »Chief« die traditionelle Häuptlingskleidung, als er Gwyneira aufsuchte. Westliche Kleidung verachtete er seit Jahren. Allerdings verzichtete er ausnahmsweise auf eine Eskorte und die Mitnahme des Kriegsbeils. Stattdessen verbeugte er sich vor ihr und sprach höflich und in untadeligem Englisch sein Beileid aus. Außerdem, so meinte er, gäbe es noch etwas Wichtiges zu besprechen.
Gwyneira dachte mit schlechtem Gewissen an ihren damaligen Unwillen. Wahrscheinlich, dachte sie, wieder irgendwelche Gebietsansprüche oder Ärger mit Schafen auf einem Platz, der den Maoris vor dreihundert Jahren als
tapu
galt, als unantastbar und geheiligt, was Tonga jetzt erst herausgefunden hatte ...
Doch dann überraschte sie der Häuptling. »Sie wissen, Miss Gwyn«, bemerkte er, »dass es für mein Volk sehr wichtig ist, die Geister der Familie beisammenzuhalten und zufriedenzustimmen. Eine angemessene Grabstelle ist uns ein ausgesprochenes Anliegen, und Mr. James wusste das. Insofern fand er unser Verständnis, als er sich vor einiger Zeit mit einer besonderen Bitte an unsere Stammesältesten wandte. Sie betraf eine
urupa
, einen Begräbnisplatz für ihn ... und später auch für Sie und Ihren Sohn ...«
Gwyneira schluckte.
»Wenn es Ihnen recht ist, Miss Gwyn, bewilligen wir das Anlegen einer Grabstätte an dem Heiligen Ort, den Sie und Mr. James den Ring der Steinkrieger genannt haben. Mr. James meinte, er habe eine besondere Bedeutung für Sie ...«
Gwyneira war daraufhin zutiefst errötet und kurz davor, in Anwesenheit des Häuptlings in Tränen auszubrechen. Der Ring der Steinkrieger, eine Ansammlung von Felsen im Grasland, die einen Kreis zu bilden schienen, war vor vielen Jahren ihr Treffpunkt und Liebesnest gewesen. Gwyneira war davon überzeugt, dass ihre Tochter Fleurette dort gezeugt worden war.
Immerhin hatte sie es dann doch geschafft, Tonga würdevoll zu danken, und ein paar Tage später war James tatsächlich zwischen den Steinen beigesetzt worden. Im engsten Familienkreis, doch in Anwesenheit des gesamten Maori-Stammes. Gwyneira war das recht. Der Trauer-
haka
der Maoris hätte James viel besser gefallen als die Kammermusikgruppe, die in
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