Der Ruf der Kiwis
der Anreise. Die ursprünglich bunt zusammengewürfelte Truppe war jetzt in Divisionen und Bataillone eingeteilt; es gab verschiedene Dienstränge und Spezialistenteams. Jack waren hauptsächlich ehemalige Bergleute und Goldgräber unterstellt, die Schützengräben mit atemberaubender Geschwindigkeit aushoben. Jack war klar, dass man diese Männer nicht der ersten Gefahr aussetzen würde. Wenn es zum Angriff kam, würden zuerst Stellungen gesichert werden. Insofern erschien es ihm logisch, dass man seine Gruppe demselben Transporter zuteilte wie die Sanitäter und Ärzte des Feldlazaretts. Bergungstrupps, Krankenpfleger und Stabsärzte schleppten ihre Ausrüstung an Bord – aber der Erste, der in diesem Feldzug Leben rettete, war paradoxerweise Jack McKenzie.
Die Truppentransporter lagen etwas außerhalb des Hafens vor Anker, und die Männer und das Material wurden in Booten an Bord gebracht. Von einem Ruderboot aus sicherte Jack mit einigen seiner Männer die Rampe, über die Zelte und Tragen hochgereicht wurden; das Meer war ausnahmsweise ziemlich bewegt, und es wehte ein heftiger Wind. Was an Deck nicht befestigt war, wurde leicht über Bord geweht. Die Männer zurrten die Hutbänder fest; trotzdem flog immer wieder ein breitkrempiger Hut durch die Luft, und manchmal folgte auch ein fahrlässig irgendwo abgelegter Rucksack. Aber das, was plötzlich neben Jack vom Deck aus in die Wellen platschte, war deutlich schwerer – und vor allem gab es nach dem Aufprall ein herzzerreißendes Jaulen von sich. Verblüfft beobachtete Jack, wie ein kleiner brauner Mischlingshund aus dem Wasser auftauchte und um sein Leben paddelte – ziemlich aussichtslos bei dem hohen Seegang und der weiten Entfernung zum Land. Das Tierchen wurde in Sekundenschnelle abgetrieben.
Jack überlegte nicht lange.
»Übernimm mal für mich!«, rief er Roly zu und drückte ihm das Tau in die Hand, das er gehalten hatte. Dann zog er sein Hemd über den Kopf, schlüpfte aus seinen Stiefeln und sprang ins Wasser.
Jack war kräftig und gut trainiert. Mit ein paar Schwimmstößen hatte er den Hund erreicht und das zappelnde kleine Tier an sich gezogen. Gegen die Strömung zurück zum Boot zu schwimmen würde schwieriger sein, aber da sah er auch schon Roly und das Ruderboot neben sich. Die Jungs hatten keinen Moment gezögert. Sollte die Rampe schwanken – sie retteten jetzt erst mal ihren Corporal.
Jack reichte Roly den Hund ins Boot und zog sich dann selbst an Bord. Außer Atem landete er auf dem Boden des Ruderboots.
Roly betrachtete inzwischen lachend ihren neuen Passagier.
»Wer oder was bist du denn?«, fragte er das Tierchen, das sich jetzt erst einmal schüttelte und dabei sämtlichen Ruderern eine Dusche verpasste. Es war klein, krummbeinig und kompakt, und seine riesigen Knopfaugen wirkten, als hätte man sie mit Kajal umrahmt.
»Ein Dackel, würde ich sagen«, konstatierte Jack. »Zumindest hat der Dackel unter seinen Vorfahren sich am besten durchgesetzt. Insgesamt waren sicher ’ne Menge Vertreter mehr oder weniger durchgezüchteter Hunderassen beteiligt. Nur keine Seehunde ...«
Das Tierchen schüttelte sich noch einmal. Es hatte Schlappohren und einen Ringelschwanz.
»Australiens Geheimwaffe!« Greg lachte und machte Anstalten, zum Schiff zurückzurudern.
Der Hund wedelte mit dem Schwanz.
An Deck des Schiffes entfaltete sich eben hektische Aktivität.
»Paddy! Paddy, hierher! Verdammt noch mal, wo ist der Köter?« Ein aufgeregter Adjutant stürmte aus den Offiziersunterkünften. »Helft mir mal, Jungs, ich muss das Vieh finden, bevor Beeston durchdreht.«
Jack und die anderen grinsten sich an. »Zumindest gehört er zur Mannschaft, wenn nicht gar zum Offizierskorps ...«
Roly gluckste. »General Godley?«, fragte er kichernd und salutierte vor dem Hund.
General Alexander Godley war der Oberbefehlshaber der ANZAC-Truppen.
»Jetzt macht mal, dass wir zum Schiff kommen! Ihr hört doch, der Kleine wird vermisst«, beendete Jack die Albernheiten. Er hielt den Hund fest, bis die Rampe erreicht war.
An Deck erschien eben ein untersetzter Mann im mittleren Alter, der die Uniform eines Stabsarztes trug. Joseph Beeston, Commander der Vierten Feldambulanz.
»Paddy! O Gott, hoffentlich ist er nicht wieder ins Wasser gefallen, bei dem Seegang ...« Der Mann schien ernstlich besorgt zu sein.
Das Ruderboot legte inzwischen an, und Jack erklomm die Rampe. Er hielt den zappelnden Paddy eisern fest, während er die schwankenden
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