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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Bilder wieder in ihr auf, die ihre Woche bestimmt hatten: Der Montagmorgen, als sie ihre am Sonntag mühsam gebügelte Schulbluse zerknittert unter all den Kleidern wiederfand, die Gabrielle am Abend ausgezogen hatte. Das Mädchen hatte Besuch von ihren Eltern gehabt und war nach einem Ausflug spät in das gemeinsame Zimmer zurückgekehrt – müde, aber doch nicht zu erschöpft für einen bösen Streich. Gloria hatte prompt einen Tadel von ihrer Hausmutter geerntet; sie fiel bei Kleiderinspektionen immer auf. Die weißen Blusen schienen selbst dann an ihrem Körper zu zerknittern, wenn sie vor dem Anziehen glatt gewesen waren. Wahrscheinlich lag das an dem absolut nicht sitzen wollenden Blazer. Oder bewegte Gloria sich einfach mehr und anders als die anderen? Vielleicht sah die Hausmutter bei ihr aber auch nur besonders genau hin. Ein paar der jüngeren Schülerinnen, unter ihnen Lilian, wirkten auch nicht immer ordentlich gekleidet, aber sie sahen dennoch hübsch oder wenigstens lustig aus. Gloria dagegen sah in Miss Coleridges Blick, wie unpassend und hässlich sie wirkte.
    »Eine Schande für das Haus!«, erklärte Miss Coleridge und trug Gloria ein paar Strafpunkte ein. Gabrielle feixte.
    Oder der Dienstag, an dem Chorsingen auf dem Plan stand. Die Rektorin war diesmal in den Unterricht gekommen und hatte darauf bestanden, ein paar der Neuen noch einmal vorsingen zu lassen. Darunter natürlich Gloria – wahrscheinlich war das Ganze ohnehin nur ihretwegen organisiert. Miss Arrowstone wollte wissen, ob die Tochter der berühmten Mrs. Martyn wirklich so hoffnungslos war, wie Miss Wedgewood behauptete. Natürlich versagte Gloria völlig – und wurde diesmal auch noch für ihre schlechte Haltung auf dem Podium gerügt.
    »Gloria, ein Mädchen trägt sich wie eine Dame! Richte dich auf, heb den Kopf, sieh deine Zuhörer an! Dadurch gewinnt auch die Stimme an Wohlklang ...«
    Gloria zog den Kopf zwischen die Schultern. Sie wollte nicht gesehen werden. Und sie war keine Dame.
    Schließlich brach sie mitten im Lied ab, rannte weinend vom Podium und versteckte sich im Garten. Sie kassierte weitere Strafpunkte, als sie erst zum Abendessen wieder auftauchte.
    Dann der Mittwoch und die unsägliche Geschichte mit der Erbsünde. Sie hatte davon in der Sonntagsschule in Haldon gehört, aber nicht besonders gut aufgepasst. »Vererbung«, bezog sich für Gloria auf Wollqualität bei Schafen, Hüteinstinkt bei Hunden und Reiteigenschaften bei Pferden. Das alles ließ sich durch richtige Anpaarung verbessern, aber Adam und Eva hatten da natürlich keine große Auswahl gehabt. Gloria war insofern bereit, die Erbsünde großmütig zu vergeben. Und da ihr zum Thema »Paradies« immer nur die weitläufige Landschaft von Kiward Station einfiel und all das, was ihr Miss Bleachum und James McKenzie über die einheimischen Pflanzen und Tiere erzählt hatten, streifte sie die Genesis nur kurz und ging dann zur Entwicklung verschiedener Tierarten in unterschiedlichen Lebensräumen ein. »Der Mensch«, so endete sie schließlich, »hat sich nicht auf Neuseeland entwickelt. Die Maoris kamen aus Hawaiki, die 
pakeha
 aus England. Affen gibt es dort aber auch nicht, wahrscheinlich kamen die ersten Menschen also eher aus Afrika oder Indien. Aber das Paradies lag da wohl nicht, denn es gibt dort keine Äpfel.«
    Gloria verstand gar nicht, warum man sie aufgrund dieser Sätze zur Rektorin zitierte und streng abmahnte. Zur Strafe musste sie die Schöpfungsgeschichte dreimal abschreiben, wobei sie lernte, dass das Paradies zwischen Euphrat und Tigris lag und dass Äpfel in der Bibel überhaupt nicht vorkamen. Gloria fand das alles seltsam.
    Schließlich der Donnerstag mit einer furchtbaren Klavierstunde, zu der Gabrielle obendrein Glorias Noten vertauschte. Mit dem Notenheft für Fortgeschrittene konnte sie nichts anfangen, und Miss Tayler-Bennington ließ sie zur Strafe für ihre Nachlässigkeit auswendig spielen. All die mühsamen Übungsstunden während der Woche waren damit vergebens gewesen. Ohne Noten ging bei Gloria gar nichts. Am Nachmittag dann das »Abarbeiten« der Strafpunkte mittels eines langen, schweigenden Spaziergangs. Natürlich regnete es wieder, und Gloria fror in ihrer Schuluniform.
    All das konnte sie unmöglich nach Hause berichten. Sie könnte es auch gar nicht niederschreiben, ohne wieder zu weinen. Gloria verbrachte die Stunde, indem sie starr geradeaus blickte, ohne das Lehrerpult, die Tafel und die Aufsicht führende

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