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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Miss Coleridge auch nur wahrzunehmen.
    Als sie schließlich zur Feder griff, tauchte sie den Füllhalter so heftig in die Tinte, dass Tropfen wie Tränen auf ihr Briefpapier fielen. Und dann schrieb sie die einzigen Worte nieder, die ihren Kopf füllten:
    »Jack, bitte, bitte, hol mich heim!«
     
    »Da sehen Sie es, Miss Bleachum!«, erklärte Miss Arrowstone ungnädig. »Hätten wir diesen ›Brief‹ abschicken sollen?«
    Sarah blickte fassungslos auf Glorias Hilfeschrei. Sie biss sich auf die Lippen.
    »Ich verstehe, dass Sie streng sein müssen«, sagte sie dann. »Aber was ich anbiete, sind nur ein paar zusätzliche Französischstunden. Es wird Gloria bei der Eingliederung helfen, wenn sie im Unterricht besser mitkommt. Und am Wochenende verpasst sie doch nichts.«
    Sarah war entschlossen, sich heimlich mit Gloria zu treffen, wenn Miss Arrowstone nicht einlenkte. Aber die Rektorin ließ sich jetzt doch erweichen.
    »Also gut, Miss Bleachum. Wenn der Reverend nichts dagegen hat ...«
    Sarah wollte erneut aufbrausen. Was hatte Christopher damit zu tun, dass sie Gloria unterrichtete? Seit wann brauchte sie seine Erlaubnis, eine Schülerin anzunehmen? Aber dann beherrschte sie sich. Wenn sie Miss Arrowstone weiter gegen sich aufbrachte, war damit nichts gewonnen.
    »Übrigens eine sehr schöne Predigt zur Stellung der Frau in der Bibel!«, bemerkte die Rektorin, als sie ihre Besucherin herausführte. »Wenn Sie ihm das bitte bestellen würden. Wir alle waren sehr angerührt ...«
     
    Gloria kam eingeschüchtert und verweint zu spät in ihre erste Stunde am Sonnabendnachmittag.
    »Es tut mir leid, Miss Bleachum, aber ich sollte zuerst noch einen Brief schreiben«, entschuldigte sie sich. »Heute Abend muss ich ihn Miss Coleridge vorlegen. Aber ich ...«
    Sarah seufzte.
    »Dann wollen wir das mal zuerst angehen«, erklärte sie. »Hast du das Briefpapier bei dir?«
     
    Liebe Grandma Gwyn, lieber Grandpa James, lieber Jack,
    viele Grüße aus England. Ich hätte schon eher geschrieben, aber ich muss viel lernen. Ich habe Klavierunterricht und singe im Chor mit. Im Englischunterricht lesen wir Gedichte von Mr. Edgar Alan Poe. Wir lernen auch Gedichte auswendig. Ich mache gute Fortschritte im Zeichenunterricht. Am Wochenende sehe ich Miss Bleachum. Am Sonntag besuchen wir den Gottesdienst. Ich habe Euch alle sehr lieb.
     
    Eure Gloria
     

7
    Die »Nachhilfestunden« am Samstagnachmittag wurden für Gloria bald zum Höhepunkt der Woche. Sie freute sich schon montags darauf, und wenn ihr Alltag besonders schrecklich war, träumte sie sich an die Seite der jungen Lehrerin und klagte ihr in Gedanken ihr Leid. Natürlich beschränkte Miss Bleachum sich nicht auf schlichten Französischunterricht. Zwar widmeten sie dem stets sehr konzentriert die erste Stunde – schließlich sollten Miss Arrowstone und Madame Laverne, die Französischlehrerin, ja Fortschritte sehen. Aber dann berichtete Gloria auch von ihrem täglichen Martyrium mit Gabrielle und den anderen Mädchen, und Sarah gab nützliche Tipps, damit umzugehen.
    »Du darfst dir nicht alles gefallen lassen, Gloria!«, erklärte sie zum Beispiel. »Es ist nicht ehrenrührig, wenn du manchmal die Hausmutter um Hilfe bittest. Besonders bei so boshaften Streichen wie der Sache mit der Tinte!«
    Gabrielle hatte Glorias Schulbluse verdorben, indem sie Tinte darauf kleckste.
    »Und wenn du nicht direkt petzen willst, dann bitte doch die Hausmutter, die Sachen für dich in Verwahrung zu nehmen. Oder steh in der Nacht auf, schau, ob das Mädchen wieder etwas angestellt hat, und vertausch die Kleider. Gabrielle wird schön dumm gucken, wenn sie die Flecken auf ihrer eigenen Bluse findet, während du dich schon angezogen hast und hinaus bist. Ihr habt doch in etwa die gleiche Größe. Oder jubele die schmutzigen oder zerknitterten Kleider einer anderen Zimmergenossin unter. Dann kriegt Gabrielle von der Zunder. Und spiel dem Mädchen auch ruhig selbst mal einen Streich ...«
    Gloria nickte mutlos. Sie hatte, was das Ärgern anderer Leute anging, keinerlei Fantasie. Ihr fiel einfach nichts ein, um Gabrielle zu verletzen. Aber schließlich kam ihr der Einfall, Lilian einzuweihen. Lilian und ihre Freundinnen spielten den Lehrern und Mitschülern ständig Streiche; die Geschichte von der Spinne in der Landkarte war in aller Munde.
    Der rothaarige kleine Kobold hörte sich denn auch Glorias Sorgen geduldig an und lächelte sanft. »Das ist die Ziege, die uns damals nach der Party

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