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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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anderen Jungen in diesem Kreis waren mindestens sechzehn, die meisten siebzehn oder achtzehn Jahre. Der Altersunterschied machte ihr ein bisschen Angst.
    Schließlich wies einer der Jungen auf Rupert, einen vierschrötigen, großen Braunhaarigen, der eben mit anderen Mädchen flirtete. Lily stellte sofort fest, dass er für sie nicht in Frage kam. Sie mochte seine aufschneiderische Art nicht, die selbst auf die Entfernung hin erkennbar war; außerdem war er wirklich zu erwachsen. Dann aber fiel ihr Blick auf einen blonden Jungen, der abseits von allen anderen in einer schilfbewachsenen Bucht Dehnungsübungen durchführte. Lilian fand, dass er jung und vertrauenswürdig wirkte. Beiläufig trennte sie sich von ihrer Gruppe und schlenderte zu ihm hinüber. Dabei klopfte ihr Herz ein bisschen schneller. Es war sicher nicht erwünscht, dass sie sich hier selbstständig machte. Aber in der Bucht war es schön, ruhiger als am Anleger. Sie konnte den schweren Atem des Jungen hören und seine kräftige Muskulatur unter dem dünnen Hemd erahnen. Dabei war er eher zart gebaut; sehnig, aber dünn. Nur die Arm- und Beinmuskeln verrieten das ständige, harte Training an den Ruderbänken.
    »Glauben Sie wirklich, das nutzt jetzt noch etwas?«, fragte Lilian.
    Der Junge wandte sich erschrocken um. Er schien völlig weltentrückt gewesen zu sein. Lilian sah in ein klares, längliches Gesicht, beherrscht von wachen, hellgrünen Augen. Alles andere an dem jungen Mann war vielleicht etwas farblos, aber seine Züge waren durchaus fein geschnitten, die Lippen voll, jetzt jedoch vor Konzentration fest zusammengepresst.
    »Was?«, stieß er hervor.
    »Das Training«, führte Lilian aus. »Ich meine, was Sie jetzt noch nicht können, das lernen Sie doch vor dem Rennen auch nicht mehr.«
    Der Junge lachte.
    »Das ist kein Training, das sind Aufwärmübungen. Man kommt dann schneller in Fahrt, wenn’s losgeht. Echte Sportler machen das so.«
    Lilian zuckte die Achseln. »Ich versteh nicht viel von Sport«, gab sie zu. »Aber wenn es so gut ist, warum machen die anderen es nicht auch?«
    »Weil sie lieber mit den Mädchen schwatzen«, erklärte der Junge mit angewidertem Gesichtsausdruck. »Sie nehmen das nicht richtig ernst.«
    Lilian fiel die Bemerkung des Jungen wieder ein, Ben sei ein Streber.
    »Sind Sie Ben?«, fragte sie.
    Der Junge lachte wieder. Er sah deutlich besser aus, wenn der strenge Ausdruck aus seinem Gesicht schwand.
    »Was haben die Ihnen über mich erzählt?«, fragte er zurück. »Lassen Sie mich raten: Ben ist ein Streber.«
    Lilian lachte jetzt auch. Ein bisschen verschwörerisch. Sie neigte immer noch zu diesem Kobold-Lachen. Der Junge musterte sie nicht ohne Interesse.
    »Stimmt aber nicht«, bemerkte sie. »Wie ich das so sehe, schwatzt Ben gerade mit einem Mädchen. Ihr Boot wird noch das Rennen verlieren!« Sie zwinkerte ihm zu und spielte dabei neckisch mit ihrem Sonnenschirm. Ben schien das jedoch gar nicht zu bemerken; die Erinnerung an das Rennen ließ ihn wieder in seine eigene Welt abdriften.
    »Es ist sowieso egal, sie nominieren ohnehin diesen Rupert Landon«, meinte er. »Weil der sich doch in den ganzen Jahren am College so um den Achter verdient gemacht hat. Dabei haben wir jedes Mal verloren, wenn er Schlagmann war. Der Kerl ist ein Blender. Er verkauft sich gut. Und nun soll er im letzten College-Jahr noch einmal eine Chance haben.«
    »Und beide können Sie nicht mitmachen?«, fragte Lilian. »Ich meine, es gibt doch acht Plätze?«
    »Aber nur einen Schlagmann. Also Rupert oder mich.« Ben nahm seine Dehnübungen wieder auf.
    »Der Schlagmann gibt das Tempo an, nicht?«, erkundigte sich Lilian.
    Ben nickte. »Er sorgt für gleichmäßiges Eintauchen der Ruder, vereinfacht gesagt. Wozu er ein gutes Rhythmusgefühl braucht. Ruperts Rhythmusgefühl liegt etwa bei null.« Er streckte sich.
    Lilian zuckte die Schultern. »Pech für Cambridge«, meinte sie dann. »Aber Sie sind noch im ersten Semester, nicht? Sie können nächstes Jahr gewinnen.« Sie setzte sich ins Gras und sah Ben bei seinen Übungen zu. Er hatte geschmeidige Bewegungen, ein bisschen wie ein Tänzer. Lilian gefiel, was sie sah.
    Ben verzog das Gesicht. »Wenn es ein nächstes Mal gibt. Aber Mr. Hallows, unser Geschichtslehrer, meint, es gibt Krieg.«
    Lilian blickte ihn verwundert an. Von irgendeiner Kriegsgefahr hatte sie nie etwas gehört. Das vermittelte Geschichtswissen in Oaks Garden endete mit dem Tod der Queen Victoria. Krieg

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