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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Ensemble feierten Triumphe in der Great American Music Hall, die Tänzer schwärmten von Fisherman’s Wharf, und Tamatea schleppte Gloria mit, die Seelöwen anzusehen, die träge an den Bootsanlegern lagen.
    »Die gibt es bei uns auch!«, rief Gloria voller Vorfreude, obwohl sie bislang noch keinen gesehen hatte. Sie hatte die Westküste nie bereist, wusste natürlich aber von Seelöwen und Walen. Tamatea freute sich, das Mädchen zum ersten Mal nach Monaten wieder lachen zu hören, und erzählte Maori-Sagen, die von Seehunden und riesigen Fischen handelten.
    Noch sprach niemand von Abreise, obwohl die Tänzerinnen unruhig wurden. Das Engagement bei Kura hatte ihnen gefallen, und die meisten Mädchen reisten gern. In New York würden sie wieder vortanzen und sich um ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Aber dann rief William nach dem eigentlich vorletzten Konzert die ganze Truppe zusammen.
    »Ich habe euch eine Mitteilung zu machen«, erklärte er wichtig. »Wie ihr wisst, war ursprünglich geplant, unsere Zusammenarbeit übermorgen zu beenden. Meine Frau und ich wollten nach Europa zurückkehren, wir hatten da weitere Verpflichtungen. Aber wie ihr wisst, herrscht in Europa weiterhin Krieg. Unsere ursprünglichen Pläne, mit dem neuen Programm Frankreich, Belgien, Deutschland, Polen und Russland zu bereisen, sind null und nichtig. Dort steht zurzeit niemandem der Sinn nach Musik ...«
    Unter den Tänzern, die bislang noch miteinander geflüstert hatten, herrschte plötzlich Totenstille.
    »Insofern kam es uns gerade recht, dass Kuras Konzertagentur uns angeboten hat, den Aufenthalt in den Staaten zu verlängern. Wie es genau weitergeht, wird dabei von euch abhängen. Wenn ihr eure Engagements verlängern möchtet, ziehen wir von hier aus nach Sacramento, Portland, Seattle, dann später nach Chicago und Pittsburgh. Den genauen Plan würde die Agentur ausarbeiten. Falls ihr aussteigen wollt, müssten wir nach New York zurück, neue Tänzer anwerben und von dort aus neu starten. Also, wie ist es? Möchtet ihr weitermachen?«
    Unter den Tänzern brach jubelnde Zustimmung aus. Nur zwei oder drei mussten aus familiären oder sonstigen Gründen an die Ostküste zurück. Der Rest atmete auf und freute sich auf weitere Monate auf Tour.
     
    »Und ich?«
    Williams Eröffnung vor den Tänzern hatte Gloria erstarren und verstummen lassen. Niemals hätte sie vor all den Leuten die Stimme erhoben und auf sich aufmerksam gemacht. Aber jetzt, in der Hotelsuite ihrer Eltern, die entspannt zusammensaßen – William ein Glas Whiskey, Kura einen Weißwein vor sich –, schaffte sie es, ihre brennende Angst in Worte zu fassen.
    William blickte sie verwundert an. »Was soll mit dir sein?«, erkundigte er sich. »Du kommst natürlich mit, was sonst?«
    »Aber ich bin hier nicht von Nutzen! Niemand hier braucht mich ... und ...« Gloria hatte tausend Dinge sagen wollen, aber sie brachte nur ein paar gestammelte Sätze heraus.
    Kura lachte. »Dummerchen, natürlich machst du dich nützlich. Und wenn nicht, was soll’s? Du kannst nicht nach Europa zurück, falls du studieren möchtest. Da herrscht Krieg, da erschießen sie sich gegenseitig. Hier bist du sicher.«
    »Auf Kiward Station ist kein Krieg!« Gloria wollte schreien, aber es wurde kaum mehr als ein Flüstern.
    »Ach, daher weht der Wind. Du möchtest wieder auf diese Schaffarm ...« William schüttelte den Kopf. »Gloria, Herzchen, von hier nach Neuseeland ist eine Weltreise! Wir können dich unmöglich allein losschicken. Und was soll das auch? Mädchen, du lernst hier die Welt kennen! Schafe scheren kannst du noch lange genug, wenn du es wirklich willst. Das kann doch nicht dein Ernst sein! Überleg nur, wenn wir nach dem Krieg zurückkehren: Du wirst Frankreich sehen, Spanien, Portugal, Polen, Russland ... es gibt kein Land in Europa, in dem wir noch nicht waren und das nicht darauf brennt, weitere Programme zu sehen. Vielleicht werden wir endlich ein Stadthaus in London kaufen ... Ja, ich weiß, Kura, du magst nicht sesshaft werden. Aber denk mal an die Kleine, die sollte doch standesgemäß debütieren. Irgendwann wird sich ein netter Mann finden, du wirst heiraten ... du bist dazu erzogen worden, eine Lady zu sein, Gloria! Keine Landpomeranze!«
    Gloria antwortete nicht. Ihr Gesicht war schneeweiß geworden, und sie meinte, nie wieder Worte finden zu können. Eine Tournee durch Europa, ein Stadthaus in London, Debütantinnenbälle ... Als Kura und William Gloria nach

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