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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Beyrichen
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vorstellen.« Patricia blickte sich unwillkürlich um. Die Wolken hingen dunkel und schwer tief bis ins Tal hinunter und verdeckten die meisten Gipfel, die kahlen Hänge schimmerten bläulich. Sie versuchte, sich ein Panorama mit Bäumen vor Augen zu führen. Ein vollkommen anderes Bild.
    »Und die Pächter wurden einfach vertrieben?«
    »Mehr oder weniger«, bestätigte Silas. »Sie verloren dadurch ihre Existenz, viele versuchten ihr Glück in der Stadt oder wanderten nach Amerika aus. Ihre Tiere, die Ziegen und Ponys, konnten sie natürlich nicht mitnehmen und ließen sie einfach zurück.«
    »Ganz allein? Sie überließen sie ihrem Schicksal?« Patricia konnte es nicht fassen.
    Silas lächelte. »Nun ja, du darfst dabei natürlich nicht vergessen, worum es sich bei diesen Tieren handelte.« Er wies auf die Gruppe Ponys auf der Koppel. »Es sind zähe, genügsame Tiere, die an das raue Leben hier in den Highlands gewöhnt sind. Die meisten verwilderten schnell und bildeten den Grundstock für die frei lebenden Herden, die es heute noch in einsamen Gegenden gibt.«
    Patricia sah ihn überrascht an. »Heißt das, es gibt hier in den Highlands wilde Ponys? So wie die Mustangs in den amerikanischen Prärien?«
    »Wusstest du das nicht?« Silas stocherte in seiner Pfeife, die nicht so recht brennen wollte. »Noch heute leben weiter oben im Norden wilde Ponies und auch wilde Ziegen. Die Ponys sind scheu geworden, man sieht sie nicht oft. Sie sind damals schnell zu ihrem natürlichen Verhalten zurückgekehrt.«
    »Nein, das wusste ich nicht. Ich dachte immer, die einzigen wilden Ponys in Großbritannien gibt es in Dartmoor.« Patricia betrachtete die Ponygruppe auf der Weide. »Aber irgendwie kann ich es mir gut vorstellen. Sie sehen ja wirklich ein wenig aus wie Wildpferde.«
    »Sie tragen noch sehr viel vom Erbe der alten Wildpferde in sich«, bestätigte Silas. »Das macht sie auch so robust und widerstandsfähig. Aber wenn man ihre Eigenheiten kennt und die Rangstrukturen unter ihnen respektiert, findet man kaum liebenswertere, arbeitswilligere Tiere als diese Garrons.«
    Patricias Blick wanderte zu Dallis, die nach wie vor abseits der anderen graste.
    »Dallis . . .«, sinnierte sie gedankenverloren.
    Silas folgte ihrem Blick.
    »Du meinst die Graue da drüben?« Er wiegte seinen Kopf. »Ja, das ist ein gutes Beispiel für das natürliche Verhalten in den Ponyherden.« Er steckte seine Pfeife wieder in den Mund und paffte kräftig. »Die Stute ist schon ein wenig älter, ein kluges, erfahrenes Tier. Aber vor einiger Zeit war sie ein wenig krank. Innerhalb weniger Tage rutschte sie in der Rangfolge ganz nach unten. Sie hat es nie wieder geschafft, ihren alten Platz zurückzuerobern, und sie versucht es auch gar nicht mehr.«
    »Das ist ja fies«, sagte Patricia ehrlich. »Richtig ungerecht finde ich das. Eine schwache Phase gleich so auszunutzen . . .!«
    »So ist eben die Natur«, meinte Silas. »Sie ist selten gerecht. Und es ist der Lauf der Dinge, dass ältere Tiere irgendwann von den jüngeren, stärkeren an den Rand der Gruppe gedrängt werden. Es steckt ja auch Sinn dahinter. Nur die starken garantieren das Überleben der Herde. Sie müssen beispielsweise als Erste fressen dürfen, damit ihr Überleben gesichert ist und sie sich fortpflanzen können. Nahrung ist kostbar und die Natur kann es sich nicht erlauben, etwas zu verschwenden. Hart, aber logisch.«
    Patricia betrachtete Dallis erschrocken. »Aber sie verhungert jetzt doch nicht, oder?«
    Silas schmunzelte. »Nein, da haben wir Menschen schließlich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Die Stute bekommt genauso ihren Anteil Futter wie die anderen und wir sorgen auch dafür, dass sie ihn in Ruhe fressen kann. Für uns ist sie keineswegs unnütz, nur weil sie nicht mehr jung ist. Sie ist ein gutes und verlässliches Reitpferd, aber das weißt du sicher.«
    Patricia schwieg und fragte sich, was wohl passierte, wenn Dallis eines Tages auch für die Menschen keinen Nutzen mehr brachte.

14.
    Noch lange dachte Patricia über das Gespräch mit dem alten Silas nach.
    Er hatte natürlich recht.
    Und Dallis litt sicherlich weitaus weniger unter ihrer Situation, als es ein Mensch an ihrer Stelle täte. Für sie war es eben so und damit gut. Es war der Lauf der Dinge.
    Zumindest jedoch genoss Dallis nach wie vor die Gunst der Reitschüler. Nicht lange nachdem Silas gegangen war, tauchte eine Gruppe Kinder auf, die sich ihre Ponys für den bevorstehenden Ausritt von

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