Der Ruf der Pferde
würde Patricia reagieren?
Erwartungsgemäß machte Patricia ein feindseliges Gesicht.
»Ich reite auch nicht mehr«, gab sie kurz angebunden zurück.
»Du riechst aber nach Pferd.« Ivan ließ nicht locker. »Und ich hab dich gesehen, wie du zu dem Reiterhof hinter dem Berg rübergelaufen bist.«
»Spionierst du mir etwa nach?«, fauchte Patricia. Ihre Augen funkelten vor Wut.
»Brauch ich gar nicht.« Ihr Bruder grinste. »Man kann den Weg von der Straße aus sehen.« Er schob sich eine große Gabel voll Rührei in den Mund und kaute genüsslich. »Und weil du doch immer sagst, dass du nicht mehr reiten willst, find ich das schon ein bisschen komisch.«
»Das geht dich einen feuchten Dreck an«, fuhr ihn Patricia an, während Mrs Mackintosh ganz automatisch einwarf: »Bitte sprich nicht mit vollem Mund, Ivan!«
»Na, na«, mahnte der Vater und blickte Patricia ungehalten an. »Was sind denn das für Ausdrücke!«
Patricia gab keine Antwort. Sie legte ihr angebissenes Brot zurück auf den Teller. Der Appetit war ihr vergangen.
»Ivan, es geht dich wirklich nichts an, was deine Schwester macht«, versuchte ihre Mutter, die Situation zu entschärfen. »Iss jetzt dein Frühstück auf und lass Patricia in Ruhe.«
»Ich find das aber voll bescheuert«, beharrte Ivan. »Erst macht sie so einen Wind drum, dass sie nie wieder reitet, und jetzt reitet sie doch wieder!«
»Ich reite nicht!«
»Tust du doch!«
»Ivan!« Der Ton seines Vaters war scharf. »Es reicht.«
»Aber . . .«
»Kein Aber. Und damit Ende der Diskussion.«
»Mann ey«, maulte Ivan leise, aber er war doch ein wenig eingeschüchtert und richtete seine Aufmerksamkeit lieber wieder auf seinen Frühstücksteller.
Patricia starrte auf ihre halb leere Teetasse.
Das hatte sie nun davon! Eigentlich war es klar gewesen, dass jemand etwas von ihren Ausflügen zum Reiterhof mitbekommen würde. Und ihre Eltern verteidigten sie auch noch!
Patricia wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte. Eigentlich empfand sie es eher als Demütigung – offenbar meinten die Eltern, man müsse sie wie eine psychisch Kranke mit Behutsamkeit behandeln, damit sie sich nicht aufregte.
Sie merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.
Verdammt, dachte Patricia. Ich hätte das nie anfangen dürfen! Verdammte Michelle, verdammte Ponys!
Heute würde sie jedenfalls nicht zu ihnen gehen, so viel war sicher.
Das hatten sie nun davon!
Immer noch zornig holte Patricia nach dem Frühstück ein Buch aus ihrem Zimmer und machte sich auf den Weg in den Garten.
Hoffentlich ließ Mrs Dench sie wenigstens heute in Ruhe – die hätte ihr jetzt gerade noch gefehlt!
Doch sie hatte Glück, von Mrs Dench war weit und breit nichts zu sehen, als sich Patricia unter dem Apfelbaum in einen Liegestuhl plumpsen ließ.
Sie schlug ihr Buch auf, doch sie las nicht. Ihre Wut auf Ivan war nach wie vor nicht verraucht.
Und sie fühlte sich merkwürdig kribbelig.
Was Dallis heute wohl machte? War sie wieder zum Reiten eingeteilt? Hoffentlich bekam sie einen netten Reiter.
Ob es dem Pony auffiel, dass sie, Patricia, heute nicht kam?
Und was würde Michelle sagen? War sie enttäuscht, dass der Unterricht ausfiel? Dachte sie, Patricia hätte sie im Stich gelassen?
Patricia merkte, dass ihr dieser Gedanke unangenehm war. Sie wollte nicht, dass Michelle sie für unzuverlässig hielt.
Verdammt noch mal, dachte sie. Alles bloß wegen dieser bescheuerten Nervensäge von Bruder! Am liebsten wäre sie noch einmal zurück ins Haus gegangen und hätte Ivan eine Ohrfeige verpasst. Was hatte der sich eigentlich in ihre Angelegenheiten einzumischen?
Aber den Gefallen würde sie ihm bestimmt nicht tun, jetzt zum Hof hinüberzulaufen. Diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht. Fies, wie Ivan manchmal war, hatte er bestimmt gehofft, ihr einen Spaß verderben zu können, aber da hatte er sich geschnitten! Als ob ihr was daran läge, dahin zu gehen!
Eigentlich nervte es sie, jeden Tag dort zu verbringen. Sie hatte sowieso vorgehabt, das Ganze abzublasen, denn es wurde allmählich langweilig.
Michelle sollte sich gefälligst eine andere Dumme suchen, die sich ausnutzen ließ. Und die Pferde – pah, wenn es wenigstens welche wären! Aber die Ponys, das waren ja eher schlecht frisierte Hoppeldackel, nichts weiter!
Patricia schnaubte und wandte sich wieder ihrem Buch zu.
Doch der Ärger machte es ihr schwer, sich zu konzentrieren.
Sie hatte das Gefühl, als habe man ihr etwas weggenommen, auf das sie
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