Der Ruf der Steine
der Decke, durch die man hätte entkommen können. Eine Gruft aus altem Stein.
Und leer.
12
»Dad, ich mag diese Insel nicht.«
»Es war ein aufregender Tag.«
»Nein, ich will nach Hause.«
»Wir können noch drei Wochen lang nicht nach Hause. Erst müssen wir den Hügel ausgraben.«
»Wie viele Tage sind drei Wochen?«
»Ungefähr neunzehn.«
» Neunzehn? Das ist viel zu lang. Ich will morgen nach Hause.«
»Mag sein, aber das geht nicht. Du hast dich heute ganz schön erschreckt. Wir haben uns beide erschreckt. Es tut mir Leid, dass ich dich so angeschrien habe. Sind wir wieder Freunde?«
»Ja.«
Peter küsste ihn auf die Stirn. »Versprichst du mir, nie wieder allein auf Entdeckungsreisen zu gehen? Okay?«
»Okay.«
»Niemals?«
»Okay, okay.«
»Du musst jetzt schlafen.«
»Du sollst bei mir schlafen, Dad.«
»In deinem Bett ist aber nicht genug Platz. Ich schlafe ja direkt neben dir.«
»Schiebe dein Bett näher zu mir.«
»In Ordnung. Ist es so recht?«
»Okay.«
Peter küsste Andy noch einmal auf die Stirn. Und Lambkin küsste er auch.
»Träum schön.«
»Träum schön.«
»Schlaf gut.«
»Schlaf gut.«
»Bis morgen.«
»Bis morgen.«
»Gute Nacht, Pooch.«
»Gute Nacht, Dad.«
»Ich liebe dich, Andy-Boy.«
»Ich liebe dich, Daddy-Boy.«
»Du spinnst.«
»Nein, du .« Andy schlang die Arme um Peters Hals und drückte ihn ganz fest.
Ihr allabendliches Ritual war ein Überbleibsel aus Andys Babyzeit, auf das Peter jedoch nicht verzichten mochte. Andy würde es ihm ohnehin nicht erlauben. Selbst die Reihenfolge war genauestens festgelegt. Sobald er etwas ausließ oder anders sagte, protestierte der Junge und begann noch einmal von vorn.
Mit den abendlichen Bettgeschichten verhielt es sich ebenso. Es gab zwei pro Abend. Heute hatten sie Amos and Boris gelesen – eine Geschichte über die Freundschaft zwischen einer Maus und einem Walfisch. Und danach Where the Wild Things Are, was Andy wie immer mit einem begeisterten »Ja, genau, aber richtig wild!« quittiert hatte.
Als Peter schon glaubte, dass Andy eingeschlafen sei, sagte er plötzlich: »Du würdest mich doch nie verletzen, oder, Dad?«
Die Frage gab Peter einen Stich. »Dich verletzen? Aber natürlich nicht! Ich liebe dich doch. Ich liebe dich so sehr. Ich hatte einfach nur schreckliche Angst um dich.«
»Das meine ich nicht.« Andy zögerte ein bisschen und sagte dann: »Am Strand hatte ich plötzlich ein ganz komisches Gefühl – als ob du wütend auf mich wärst und mich töten wolltest.«
Mit schmerzendem Herzen kniete Peter neben dem Bett seines Sohnes nieder. »So ein schrecklicher Gedanke! Denke so etwas nie wieder, ja? Versprich es mir. Ich habe dich doch lieb, Andy. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Nie würde ich zulassen, dass dir etwas geschieht! Niemals! Niemals!« Er presste sein Gesicht gegen das seines Sohnes. »Das kann doch nicht wahr sein«, flüsterte er.
Nach einer Pause: »Dad, ich habe heute einen echten Piraten gesehen.«
»Da bin ich ganz sicher, Pooch, und wenn ich ihn erwische, werde ich ihm den Hintern versohlen, weil er dich so erschreckt hat.«
»Das hast du neulich auch zu mir gesagt, Dad.«
Peters Herz wurde schwer. »Es soll ihm richtig Leid tun, dass er dir solche Angst gemacht hat.«
Andy zog seinen Vater zu sich herunter und gab ihm einen Kuss. Zum Glück vergeben Kinder so rasch, dachte Peter. »Hat er sonst noch etwas zu dir gesagt?«
»Nein«, flüsterte Andy.
»Hast du sein Gesicht sehen können?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass es der Mann aus dem Wald war. Zumindest ist er kein Geist.«
»Stimmt.« Vielleicht war es ein Fischer, der sich in dem Gang erleichtern wollte und von Andy überrascht wurde, dachte Peter. Er hat sich erschrocken und ist davongelaufen, um nicht auf Privatgrund erwischt zu werden. Wie er aus dem Labyrinth entkommen war, war Peter ein Rätsel. Diese Zelle hatte jedenfalls keinen Ausgang. Natürlich war es möglich, dass er wieder einer Einbildung erlegen war, dass ihm sein Gehirn erneut einen Streich gespielt hatte. Aber die Drohung, seinem Sohn den Hals aufzuschlitzen, bereitete ihm ernsthaft Sorgen. Unwillkürlich musste er an seine erste Halluzination in der Küche denken.
Andy drehte sich zur Wand und schloss die Augen. »Dad, magst du Connie?«
Die Frage überraschte Peter. »Ja, sie ist sehr nett. Warum fragst du?«
»Das weiß ich nicht. Liebst du sie genauso wie Mommy?«
»Nein, mein Schatz, aber ich mag
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