Der Ruf der Steine
sie. Sie ist sehr nett.«
»Wirst du dich in sie verlieben?«
»Das habe ich mir nicht vorgenommen.«
»War Mommy so wie sie?«
»Ein bisschen. Sie ist sehr nett und sehr hübsch – genau wie Mommy.«
»Willst du sie heiraten?«
»Nein. Und sie will das auch nicht. Wir kennen uns doch erst seit ein paar Tagen.«
Andy rollte wieder zurück. »Vielleicht werde ich sie heiraten. Sie ist toll, und sie hat mir das Leben gerettet.« Und dann: »Mir dir zusammen.«
»Sie ist vielleicht ein bisschen groß für dich.«
»Wenn ich sieben oder acht bin, nicht mehr.«
Eine Minute später schnarchte er ganz leise.
Peter schlüpfte in sein Bett, starrte lange Zeit in die Dunkelheit und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Die Ereignisse des Nachmittags hatten ihn tief getroffen. Er hatte die Geduld verloren, was er in dieser Heftigkeit nicht kannte, und Andy angebrüllt. Am meisten belastete ihn jedoch, wie er ihn gepackt und geschüttelt hatte. Zum ersten Mal hatte er ihn in der Wut körperlich berührt. Zum ersten Mal hatte er eine Schwelle überschritten, eine Schwelle, die mit starken Tabus behaftet war.
Beim Nachdenken erinnerte er sich wieder an das seltsame Gefühl, als ob jemand von außerhalb in ihn eingedrungen sei, das er bei dem Streit um den Drachen zum ersten Mal empfunden hatte.
Er schloss die Augen. Ich muss mich ausruhen, dachte er. Mein Kopf braucht Ruhe … nur Ruhe …
Im nächsten Moment war er wieder oben auf Pulpit’s Point, und es roch stärker nach Rauch als je zuvor. Alle waren noch da und warteten auf ihn.
»Wir wollen fortfahren«, erklärte Reverend Jeremiah Oates.
Der Kleine mit den schwarzen Locken stand mit gesenktem Kopf inmitten des Kreises nahe bei der angeklagten Frau.
»Worthy Oates, erzähle uns genau, was du gesehen hast«, forderte der Reverend.
Mit dem Handrücken wischte der Junge über sein Gesicht und atmete stoßweise. Kurz sah er zu Brigid auf, und dann zu seinem Vater. Zu Peters Erleichterung hatte der Junge nur noch wenig Ähnlichkeit mit Andy. Das lockige schwarze Haar und die Kopfform erweckten zwar den Eindruck, aber sonst nichts. Es war eindeutig nicht Andy.
»Du bist eine Hexe«, erklärte der Junge und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Angeklagte. »Das habe ich selbst gesehen.«
»Woher weißt du überhaupt, woran man eine Hexe erkennt?«, fragte die Frau mit drohendem Unterton. Peter hatte den Eindruck, als ob sie sich besonders auf ihn konzentrierte, aber unter den vielen Haaren konnte er ihr Gesicht nicht sehen. Er war sich ziemlich sicher, sie zu kennen.
»Ich … ich habe gesehen, was du am Samstagabend gemacht hast. Vor vierzehn Tagen haben wir noch spät draußen vor der Klippe geangelt. Da haben wir hier oben bei den Steinen ein Feuer gesehen.«
»Ihr drei seid also auf die Klippe gegangen?«, fragte der Reverend.
»Ja, Sir.«
Die anderen Jungen nickten.
»Ein Feuer macht eine Frau also zur Hexe?«, fragte die Frau herausfordernd.
Der Junge blieb stumm.
»Weiter«, mahnte der Priester.
Der Junge stotterte ein wenig. »Also gut, Sir. Wir sahen, dass sie in diesem Kreis stand und … und …«
Der Junge senkte den Kopf, doch der Priester hob sein Kinn empor. »Du musst uns alles ganz genau erzählen, mein Sohn.«
Ohne die Hexe anzusehen, sprach der Junge weiter. »Sir, sie trug lauter Perlenketten um den Hals und auf dem Kopf ein richtiges Geweih. Und … und sie hat mit den Geistern geredet!«
»Sie hat mit den Geistern gesprochen?«, schrie Oates völlig fasziniert.
»Ich habe nur meinen verstorbenen Ahnen gehuldigt«, schrie die Frau.
»Nein, Sir«, fuhr der Junge fort. »Ich schwöre bei meinem Leben, dass sie den Geistern Lieder vorgesungen hat. Sie hat mit ihnen gesprochen, als ob sie sie hören könnten.«
Verstohlen warf er der Hexe einen Blick zu, doch sie protestierte nicht, so dass Peter im Unklaren blieb, was von der Aussage des Jungen zu halten war.
»Sie hat sich also mit den Toten unterhalten«, wiederholte Oates. »Was hast du noch gesehen?«
»O Sir, es war scheußlich! Ich habe gesehen, wie sie den Teufel beschworen hat.«
Die Frau schoss auf ihn zu. »Du kleiner Wurm!« Sie spuckte förmlich Feuer. »Nichts hast du gesehen! Du lügst!«
»Kümmer dich nicht um sie und sprich weiter«, sagte der Priester.
»Ach, Vater«, wimmerte der Junge. Die Gesichter der Umstehenden schimmerten im Licht des Feuers wie große Monde. »Sie stand genau dort vor dem Stein, und über ihr tanzte der Teufel im
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