Der Ruf Der Trommel
bittet Jenny Dich, ihrer Tante die besten Grüße auszurichten.
Dem beigefügten Brief kannst Du entnehmen, daß Du bei meiner Gattin wieder in Gnaden stehst; sie hat nun damit aufgehört, Dich in einem Atemzug mit dem Satan persönlich zu nennen, und ich habe sie in letzter Zeit auch nicht mehr von Entmannung sprechen hören, was Dich vielleicht erleichtern wird.
Aber Scherz beiseite - bei der Nachricht, daß Ian in Sicherheit ist, wurde ihr ebenso leicht ums Herz wie mir. Du wirst Dir die Tiefe unserer Dankbarkeit für seine Rettung vorstellen können, glaube ich; daher will ich Dich nicht mit Wiederholungen ermüden, obwohl ich ohne Mühen einen Roman über dieses Thema schreiben könnte.
Es gelingt uns, alle hier zu ernähren, obwohl die Gerste schwer unter dem Hagel gelitten hat, und im Dorf geht die rote Ruhr um, die diesen Monat das Leben zweier Kinder gefordert hat, zum Schmerz ihrer Eltern. Annie Fraser und Alasdair Kirby sind es, die wir verloren haben, möge Gott sich ihrer Unschuld erbarmen.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Wir haben von Michael aus Paris gehört; er ist weiter erfolgreich im Weingeschäft und plant eine baldige Heirat.
Es freut mich, Dir von der Geburt meines jüngsten Enkelsohnes berichten zu können, Anthony Brian Montgomery Lyle. Ich will mich mit dieser Bekanntgabe begnügen und Jenny die ausführlichere Beschreibung überlassen; sie ist in ihn vernarrt, genau wie wir alle, er ist ein süßer Kerl. Sein Vater Paul - Maggies Mann - ist Soldat, daher sind Maggie und der kleine Anthony hier bei uns in Lallybroch. Paul ist zur Zeit in Frankreich; wir beten jede Nacht, daß man ihn dort in relativem Frieden bleiben läßt und ihn nicht in die Gefahren der Kolonien oder die Wildnis Kanadas schickt.
Wir haben in dieser Woche Besuch gehabt: Simon, Lord Lovat, und seine Begleiter. Er ist schon wieder gekommen, um Rekruten für das Highlandregiment zu suchen, das er befehligt. Du wirst vielleicht
in den Kolonien von ihnen hören, wo sie sich, wenn ich richtig informiert bin, einen Namen gemacht haben. Simon erzählt großartige Geschichten von ihrer Tap ferkeit gegen die Indianer und die hinterlistigen Franzosen, und manche davon sind zweifellos wahr.
Jamie grinste und wendete das Blatt.
Er hat Henry und Matthew mit seinen Geschichten völlig in Bann gezogen und die Mädchen auch. Josephine (»Kittys Älteste«, erklärte mir Jamie) war sogar so begeistert, daß sie einen Raubüberfall auf den Hühnerstall organisiert hat, aus dem sie und ihre Vettern mit Federn übersät hervorgingen, und Schlamm aus dem Gemüsegarten mußte als Kriegsbemalung herhalten.
Da sie alle die Wilden spielen wollten, wurden der junge Jamie, Kittys Mann Geordie und ich als Highlandregiment zwangsrekrutiert und mußten nun Attacken mit Tomahawks (Löffel und Schöpfkellen) und andere Formen begeisterten Angriffs über uns ergehen lassen, während wir uns tapfer mit unseren Schwertern (Latten und Weidenzweigen) zu verteidigen suchten.
Ich gebot Einhalt bei dem Vorschlag, das Strohdach des Taubenschlages mit Brandpfeilen anzuzünden, mußte mich am Ende aber skalpieren lassen. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, daß ich diesen Vorgang in besserer Verfassung überstand als die Hühner.
Und so ging der Brief weiter, berichtete von den Neuigkeiten in der Familie, vor allem aber von der Gutsverwaltung sowie den Ereignissen in der Region. Emigration, schrieb Ian, hatte sich zu »einer Epidemie« entwickelt, und fast alle Bewohner des Dörfchens Shewglie hatten sich zu diesem letzten Ausweg durchgerungen.
Jamie las den Brief zu Ende und legte ihn nieder. Er lächelte mit leicht verträumtem Blick, als sähe er anstelle des feuchten, vor Leben strotzenden Dschungels um uns die kühlen Nebel und die Steine von Lallybroch.
Der zweite Brief war ebenfalls in Ians Schrift adressiert, trug aber unter dem blauen Wachssiegel den Vermerk »Privat«.
»Und was haben wir wohl hier?« murmelte Jamie, als er das Siegel erbrach und den Brief auffaltete. Er begann ohne Begrüßungsformel und war wohl als Fortsetzung des längeren Briefes gedacht.
Und jetzt, Bruder, möchte ich Dir noch eine Angelegenheit von einiger Wichtigkeit vorlegen, über die ich separat schreibe, so daß du Ian
meinen längeren Brief zeigen kannst, ohne daß er von dieser Angelegenheit erfährt.
In Deinem letzten Brief hast Du geschrieben, daß Du in Charleston ein Schiff für Ian suchen wolltest. Sollte dies geschehen sein, so werden
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