Der Ruf Der Trommel
wir ihn natürlich mit Freude willkommen heißen. Wenn er Dich allerdings zufällig noch nicht verlassen haben sollte, so ist es unser Wunsch, daß er bei Euch bleibt, falls diese Verpflichtung Dir und Claire nicht allzu unangenehm ist.
»Nicht unangenehm«, murmelte Jamie, und seine Nasenflügel zitterten, als er von dem Blatt zum Fenster aufsah. Ian und Rollo balgten sich auf dem Rasen mit zwei Sklavenjungen und bildeten ein einziges kicherndes Knäuel aus Gliedmaßen und Kleidern und einem wedelnden Schwanz. »Mmpf.« Er drehte dem Fenster den Rücken zu und las weiter.
Ich habe Simon Fraser erwähnt und den Grund seiner Anwesenheit. Diese Truppenaushebungen geben uns seit einiger Zeit Grund zur Besorgnis, obwohl wir uns selten wirklich bedrängt fühlen, da unsere Gegend glücklicherweise abgelegen und schwer zu erreichen ist.
Es bereitet Lovat kaum Schwierigkeiten, den jungen Männern das Geld des Königs schmackhaft zu machen; was bleibt ihnen hier auch sonst übrig? Armut und Not ohne Aussicht auf Besserung. Warum sollten sie hierbleiben, wo sie nichts erben können, wo es ihnen untersagt ist, das Plaid oder die Waffen eines Mannes zu tragen? Warum sollten sie nicht die Chance ergreifen, sich ihre Männlichkeit zurückzuerobern - selbst wenn es bedeutet, daß sie den Tartan und das Schwert im Dienst eines deutschen Thronräubers tragen?
Manchmal glaube ich, daß dies das Schlimmste an der ganzen Sache ist - nicht nur, daß man Mord und Ungerechtigkeit ungehemmt auf uns losläßt ohne Hoffnung auf Heilung oder Wiedergutmachung, man lockt auch unsere jungen Männer fort, unsere Hoffnung und unsere Zukunft, vergeudet ihr Leben zum Nutzen des Eroberers und bezahlt sie in kleiner Münze für ihren Stolz.
Jamie zog eine Augenbraue hoch und sah mich an.
»Sieht man Ian gar nicht an, daß ein solcher Poet in ihm steckt, aye?«
An dieser Stelle war eine Lücke im Text. Am Ende der Seite ging er weiter, und Ians Handschrift, die zwischenzeitlich zu einem aggressiven
Gekritzel mit vielen Klecksen und Ausstreichungen geworden war, war dort wieder beherrscht und ordentlich.
Ich muß mich für meine kräftigen Worte entschuldigen. Ich hatte nicht vorgehabt, so viel zu sagen, aber die Versuchung, Dir mein Herz auszuschütten, wie ich es immer getan habe, ist überwältigend. Dies sind Dinge, über die ich nicht mit Jenny sprechen würde, obwohl ich glaube, daß sie davon weiß.
Zur Sache also; ich werde weitschweifig. Der junge Jamie und Michael sind für den Moment gut versorgt - zumindest müssen wir nicht befürchten, daß sich einer von ihnen vom Soldatenleben in Versuchung führen läßt.
Das gilt aber nicht für Ian; Du kennst den Jungen und seine Abenteuerlust, die der Deinen so sehr ähnelt. Hier gibt es keine richtige Aufgabe für ihn, und doch hat er nicht den Geist eines Gelehrten oder die Schläue eines Geschäftsmannes. Was soll aus ihm werden in einer Welt, in der er sich nur zwischen dem Leben eines Bettlers und dem eines Soldaten entscheiden kann? Denn viel anderes gibt es nicht.
Wir möchten gern, daß er bei Dir bleibt, wenn Du ihn nimmst. Vielleicht gibt es in der Neuen Welt bessere Möglichkeiten für ihn als hier. Und selbst wenn das nicht so ist, bleibt seiner Mutter wenigstens der Anblick erspart, wie ihr Sohn mit seinem Regiment davonzieht.
Ich könnte mir keinen besseren Schutzherrn und kein besseres Beispiel für ihn vorstellen als Dich. Ich weiß, daß ich Dich um einen großen Gefallen bitte. Dennoch hoffe ich, daß die Situation nicht völlig ohne Vorteile für Dich ist, einmal abgesehen von dem großen Vergnügen, das Ians Gesellschaft dir zweifellos bereitet.
»Nicht nur ein Poet, sondern auch ein Satiriker«, beobachtete Jamie mit einem weiteren Blick auf die Jungen auf dem Rasen.
Hier war der Brief wieder unterbrochen, bevor er wieder ansetzte, diesmal mit frisch geschärfter Feder, die Worte ein sorgfältig niedergeschriebenes Spiegelbild der Gedanken.
Ich hatte meinen Brief unterbrochen, Bruder, denn ich wünschte mir klare und von Müdigkeit ungetrübte Gedanken, wenn ich auf diese Angelegenheit zu sprechen komme. Ja, ich habe meinen Stift ein Dutzend Mal ergriffen und wieder hingelegt, unsicher, ob ich überhaupt sprechen soll - ich habe Angst, Dich in einem Atemzug um einen Gefallen zu bitten und zu beleidigen. Und doch muß ich sprechen.
Ich habe Simon Fraser bereits erwähnt. Er ist ein Ehrenmann, wenn
auch seines Vaters Sohn - doch er ist
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