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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Vorstellungen von Gut und Böse anzupassen… natürlich tut man das für ein Kind, das muß man ja, aber selbst da ist es eine furchtbare Belastung. Ich könnte es nicht für dich tun… es wäre falsch, das auch nur zu versuchen.«
    Das verblüffte ihn beträchtlich. Er saß einige Sekunden da, das Gesicht halb abgewandt.
    »Glaubst du wirklich, daß ich ein guter Mensch bin?« fragte er schließlich. Seine Stimme hatte einen seltsamen Unterton, den ich nicht einordnen konnte.
    »Ja«, sagte ich ohne Zögern. Dann fügte ich halb im Scherz hinzu: »Du nicht?«
    Nach einer langen Pause sagte er völlig ernst: »Nein, ich glaube nicht.«
    Ich sah ihn sprachlos an, und mir stand zweifellos der Mund offen.
    »Ich bin ein brutaler Mensch, das weiß ich«, sagte er ruhig. Er breitete seine Hände auf den Knien aus: große Hände, die Schwert und Dolch mit Leichtigkeit schwingen konnten, die einen Mann erwürgen konnten. »Du weißt es auch - oder du solltest es zumindest wissen.«
    »Du hast noch nie etwas getan, wozu du nicht gezwungen warst.«
    »Nicht?«
    »Ich glaube nicht«, sagte ich, doch noch während ich sprach, kamen mir Zweifel. Selbst wenn sie in größter Not begangen wurden - hinterließen solche Taten nicht ihre Spur in der Seele eines Menschen?
    »Du schätzt mich also nicht so ein wie, sagen wir, Stephen Bonnet? Man könnte doch sagen, daß er auch aus Not gehandelt hat.«
    »Wenn du glaubst, daß du auch nur das Geringste mit Stephen Bonnet gemeinsam hast, liegst du völlig falsch«, sagte ich bestimmt.

    Er zuckte leicht ungeduldig die Achseln und rutschte nervös auf der schmalen Sitzbank herum.
    »Der Unterschied zwischen mir und Bonnet ist gar nicht so groß, nur daß ich im Gegensatz zu ihm Ehrgefühl besitze. Was hindert mich sonst daran, zum Dieb zu werden?« fragte er. »Daran, auszuplündern, wen immer ich kann? Die Veranlagung dazu trage ich in mir - mein einer Großvater hat Leoch mit dem Gold derer gebaut, die er auf den Pässen der Highlands ausgeraubt hat; der andere hat sein Glück durch die Frauen gemacht, die er wegen ihres Reichtums und ihrer Titel zur Heirat gezwungen hat.«
    Er reckte sich, und seine kraftvollen Schultern ragten dunkel vor dem schimmernden Wasser auf. Dann ergriff er plötzlich die Ruder, die auf seinen Knien lagen, und warf sie ins Boot. Der Knall ließ mich auffahren.
    »Ich bin über fünfundvierzig«, sagte er. »In diesem Alter sollte ein Mann seßhaft geworden sein, oder? Er sollte zumindest ein Haus haben, etwas Land, um seine Nahrung anzubauen, und ein wenig Geld, damit er im Alter versorgt ist.«
    Er holte tief Luft, ich sah, wie seine weiße Hemdbrust sich hob, als seine Lungen anschwollen.
    »Nun, ich habe kein Haus. Und kein Land. Und kein Geld. Keine Hütte, keinen Kartoffelacker, keine Kuh, kein Schwein, keine Ziege! Ich habe keinen Dachbalken, kein Bett und keinen Topf, in den ich pinkeln kann!«
    Er ließ seine Faust auf die Ruderbank niedersausen, und der Holzsitz unter mir vibrierte.
    »Mir gehören nicht einmal die Kleider, die ich am Leib habe!«
    Es folgte eine lange Stille, die nur vom leisen Gezirpe der Grillen unterbrochen wurde.
    »Du hast mich«, sagte ich leise. Das schien mir nicht besonders viel.
    Aus seiner Kehle drang ein Laut, der sowohl Lachen als auch Schluchzen hätte sein können.
    »Aye, ich habe dich«, sagte er. Seine Stimme zitterte ein wenig, doch ich konnte nicht sagen, ob vor Belustigung oder Leidenschaft. »Das ist das Schlimmste daran, aye?«
    »Ja?«
    Ungeduldig warf er die Hand in die Höhe.
    »Wenn es nur um mich ginge, was würde es für eine Rolle spielen? Ich könnte leben wie Myers: in die Wälder ziehen, mich vom Jagen und Fischen ernähren und mich, wenn ich zu alt würde, friedlich
unter einen Baum legen und sterben und den Füchsen meine Knochen zum Abnagen überlassen. Wen würde es kümmern?«
    Er zuckte heftig mit den Schultern, als wäre ihm sein Hemd zu eng.
    »Aber es geht nun einmal nicht nur um mich«, sagte er. »Es geht um dich und um Ian und um Duncan und um Fergus und um Marsali - Gott steh mir bei, ich muß sogar an Laoghaire denken!«
    »Na, lieber nicht«, sagte ich.
    »Verstehst du denn nicht, Claire?« sagte er, der Verzweiflung nah. »Ich möchte dir die Welt zu Füßen legen, Claire - und ich habe nichts, was ich dir geben könnte.«
    Er glaubte wirklich, daß es eine Rolle spielte.
    Ich saß da, sah ihn an und suchte nach Worten. Er hatte sich halb abgewandt, und seine Schultern waren vor

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