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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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seufzte und drückte kurz seinen Arm. Meine Gefühle waren viel zu komplex, um zu versuchen, sie zu erklären; ich hatte nur ein paar Minuten bei der Frau gesessen und hätte ihren Tod keinesfalls verhindern können - doch sie war mir unter den Händen weggestorben, und ich verspürte die ohnmächtige Wut, die jeder Arzt unter solchen Umständen empfindet, das Gefühl, daß ich irgendwie versagt hatte, daß der Todesengel mich überlistet hatte. Und jenseits von Wut und Mitleid erklang das Echo unausgesprochener Schuld: Das Mädchen war ungefähr in Briannas Alter - Brianna, die in ähnlichen Umständen auch niemanden haben würde.
    »Ich weiß. Es ist nur… ich fühle mich wohl irgendwie für sie verantwortlich.«
    »Ich auch«, sagte er. »Keine Angst, Sassenach, wir sorgen schon dafür, daß sie zu ihrem Recht kommt.« Er zügelte die Pferde unter einer Kastanie, schwang sich herab und bot mir die Hand.
    Es gab keine Kaserne. Campbell hatte Jamie erzählt, daß die Männer der Lagerhauswache in mehreren Häusern in der Stadt untergebracht waren. Wir erkundigten uns bei dem Schreiber, der in der Stube arbeitete. Er schickte uns zum Wirtshaus Golden Goose auf der anderen Straßenseite, wo der Sergeant zur Zeit beim Mittagessen anzutreffen war.

    Ich erblickte den Sergeanten sofort, als ich das Wirtshaus betrat; er saß an einem Tisch beim Fenster, hatte seine weiße Lederhalsbinde abgelegt, seinen Uniformrock aufgeknöpft und machte einen völlig entspannten Eindruck. Vor ihm standen ein Krug Bier und die Reste einer Fleischpastete. Jamie trat hinter mir ein und verdunkelte vorübergehend den Eingang. Der Sergeant blickte auf.
    Obwohl es im Schankraum ziemlich dunkel war, konnte ich sehen, daß das Gesicht des Mannes vor Schreck jeden Ausdruck verlor. Jamie blieb hinter mir abrupt stehen. Er brummte etwas auf Gälisch, das ich als deftigen Kraftausdruck erkannte, doch dann ging er ohne Zögern an mir vorbei.
    »Sergeant Murchison«, sagte er im Tonfall leichter Überraschung, so wie man vielleicht einen beiläufigen Bekannten begrüßt. »Ich hatte nicht damit gerechnet, Euch noch einmal zu Gesicht zu bekommen - jedenfalls nicht in dieser Welt.«
    Der Gesichtsausdruck des Sergeanten legte die Vermutung nahe, daß das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Und daß jedes Zusammentreffen diesseits der Himmelspforte für ihn zu früh war. Das Blut stieg ihm in die fleischigen, pockennarbigen Wangen, und er schob seine Bank zurück, die quietschend über den sandbestreuten Fußboden rutschte.
    »Ihr!« sagte er.
    Jamie zog den Hut und neigte höflich den Kopf.
    »Euer Diener, Sir«, sagte er. Ich konnte jetzt sein Gesicht sehen, das nach außen hin freundlich war, doch seine Augen verrieten Argwohn. Ihm waren seine Gefühle nicht so deutlich anzusehen wie dem Sergeanten, doch auch er war überrascht.
    Murchison erlangte die Selbstbeherrschung zurück. Ein Hohnlächeln trat an die Stelle seines erschrockenen Blickes.
    »Fraser. Oh, Verzeihung, das heißt jetzt sicher Mr. Fraser, richtig?«
    »So ist es.« Trotz des beleidigenden Tons der Bemerkung hielt Jamie seine Stimme neutral. Egal, was zwischen ihnen vorgefallen war - er wollte jetzt keinen Ärger. Nicht angesichts dessen, was draußen im Wagen lag. Ich wischte mir unauffällig die verschwitzten Handflächen am Rock ab.
    Der Sergeant hatte angefangen, sich die Uniformjacke zuzuknöpfen, ohne den Blick von Jamie abzuwenden.
    »Ich habe gehört, daß ein Mr. Fraser angekommen sein soll, um bei Mistress Cameron auf River Run herumzuschmarotzen«, sagte er und verzog seine dicken Lippen. »Das seid dann wohl Ihr, oder?«
    Der Argwohn in Jamies Augen gefror zu einem Blau so kalt wie Gletschereis, obwohl seine Lippen weiter freundlich lächelten.

    »Mistress Cameron ist meine Verwandte. Ich bin in ihrem Namen hier.«
    Der Sergeant legte den Kopf zurück und kratzte sich ausgiebig am Hals. Eine lange, scharfkantige, rote Falte zog sich dort über die bleiche Haut, als hätte jemand erfolglos versucht, den Mann zu garrottieren.
    »Eure Verwandte. Tja, das sagt sich leicht, ist es nicht so? Die Dame ist blind wie ein Maulwurf habe ich gehört. Kein Ehemann, keine Söhne, eine leichte Beute für jeden Gauner, der hier aufkreuzt und behauptet, zur Familie zu gehören.« Der Sergeant senkte den Kopf und grinste mich an. Er hatte sich wieder völlig im Griff.
    »Und die Dirne gehört auch zu Euch, ja?« Es war pure Böswilligkeit, ein Schuß ins Blaue; der Mann hatte mich kaum

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