Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
meinem Zinnbecher auf den Hackklotz des Wirtshauses und holte tief Luft. Die Nacht war klar, und ein leuchtender Halbmond lugte silbern über den Hafenrand. Unser Wagen stand in der Nähe, nur ein Umriß im Licht der Kneipenfenster. Gavin Hayes’ ordentlich eingewickelte Leiche lag wohl darin. Ich hoffte, daß ihm sein caithris Freude gemacht hatte.
    Drinnen war Duncans Gesang verstummt. Zitternd vom Alkohol, aber dennoch wohlklingend sang jetzt eine klare Tenorstimme eine vertraute Melodie, die trotz des Stimmengewirrs gut zu hören war.
    »To Anacreon in heav’n, where he sat in full glee,
A few sons of harmony sent a petition,
That he their inspirer and patron would be!
When this answer arrived from the jolly old Grecian:
›Voice, fiddle, and flute,
No longer be mute!
I’ll lend you my name and inspire you to boot.‹«
    Bei »voice, fiddle and flute« schwankte die Stimme des Sängers gefährlich, doch er sang trotz des Gelächters aus dem Publikum tapfer weiter. Ich lächelte ironisch vor mich hin, als er bei den beiden letzten Zeilen des ausgelassenen Trinkliedes angelangte:
    »›And, besides, I’ll instruct you like me to entwine,
The Myrtle of Venus with Bacchus’s vine!‹«
    Ich hob meinen Becher in Richtung des Leichenwagens und wiederholte leise die Melodie der letzten Zeilen des Sängers. Doch ich wählte den anderen Text, ohne mich daran zu stören, daß weder
das Amerika mit dem »sternenbesäten Banner« noch der Text seiner Nationalhymne zu diesem Zeitpunkt schon existierte:
    »›Oh, say, does that star-spangled banner yet wave
O’er the land of the free and the home of the brave?‹«
    Ich leerte meinen Becher. Dann saß ich still da und wartete, bis die Männer herauskamen.

2
    In welchem Kapitel wir einem Geist begegnen
    »Zehn, elf, zwölf… und zwei, und sechs… ein Pfund, acht Schillinge, Sixpence, zwei Farthings!« Fergus ließ die letzte Münze feierlich in den Stoffbeutel fallen, zog ihn zu und reichte ihn Jamie. »Und drei Knöpfe«, fügte er hinzu, »aber die habe ich behalten«. Er klopfte sich auf seinen Rock.
    »Hast du bei dem Wirt unser Essen bezahlt?« fragte mich Jamie und prüfte das Gewicht des kleinen Beutels.
    »Ja«, versicherte ich ihm. »Ich habe noch vier Schillinge und Sixpence, dazu das, was Fergus gesammelt hat.«
    Fergus lächelte bescheiden, und seine weißen Zähne blitzten in dem schwachen Licht, das aus dem Kneipenfenster fiel.
    »Dann haben wir ja das Geld, das wir für die Beerdigung brauchen«, sagte er. »Bringen wir Monsieur Hayes jetzt zu dem Priester, oder warten wir bis morgen?«
    Jamie blickte stirnrunzelnd zum Wagen hinüber, der still am Rand des Kneipenhofs stand.
    »Ich glaube nicht, daß der Priester um diese Zeit noch wach ist«, sagte er mit einem Blick auf den aufgehenden Mond. »Aber…«
    »Ich würde ihn lieber nicht mitnehmen«, sagte ich. »Nichts für ungut«, fügte ich mit einem entschuldigenden Blick auf den Wagen hinzu. »Aber wenn wir draußen im Wald schlafen, dann wird der… äh… Geruch…« Es war noch nicht überwältigend, aber sobald man den Rauchgeruch des Wirtshauses hinter sich ließ, nahm man in der Nähe des Wagens einen deutlichen Geruch wahr. Es war kein sanfter Tod gewesen, und wir hatten einen heißen Tag gehabt.
    »Tante Claire hat recht«, sagte Ian, und fuhr sich unauffällig mit den Knöcheln unter der Nase entlang. »Wir wollen keine wilden Tiere anlocken.«
    »Aber wir können Gavin doch nicht hierlassen!« protestierte Duncan, empört bei dem Gedanken. »Was, ihn hier am Eingang der Wirtschaft in seinem Leichentuch liegenlassen wie ein Findelkind in Windeln?
« Er schwankte alarmierend, denn der Alkoholkonsum beeinträchtigte sein ohnehin schon empfindliches Gleichgewicht.
    Im Licht des Mondes, der weiß auf sein messerscharfes Nasenbein schien, sah ich Jamies breiten Mund vor Belustigung zucken.
    »Nein«, sagte er. »Wir lassen ihn nicht hier.« Er warf den kleinen Beutel mit einem leisen Klimpern von einer Hand in die andere und steckte ihn dann in die Rocktasche. Er hatte einen Entschluß gefaßt.
    »Wir begraben ihn selbst«, sagte er. »Fergus, kannst du da drüben in den Stall gehen und schauen, ob du sehr billig einen Spaten kaufen kannst?«
     
    Der kurze Weg durch die stillen Straßen von Charleston zur Kirche verlief ein bißchen weniger würdevoll als bei einem Leichenzug üblich, was unter anderem daran lag, daß Duncan darauf bestand, den Zug mit den interessantesten Passagen seines

Weitere Kostenlose Bücher