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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Jägern lag - dieses erste Zusammentreffen mit Wilden war für uns beide sehr beruhigend gewesen, und Jamie schien nicht länger hinter jedem Baum tomahawkschwingende Kannibalen zu vermuten.
    Oder vielleicht waren es die Bäume selbst - oder die Berge. Mit jedem Meter, den wir von der Küstenebene aufgestiegen waren, war ihm leichter ums Herz geworden. Ich konnte nicht anders, als seine offensichtliche Freude teilen - doch gleichzeitig verspürte ich wachsende Furcht vor den möglichen Folgen dieser Freude.
    Am späten Vormittag wurde der Wald auf den Abhängen zu dicht zum Weiterreiten. Als ich an einem fast senkrechten Felshang hinaufblickte in ein schwindelerregendes Gewirr dunkler, gold und grün und braun gefleckter Zweige, fand ich, daß die Pferde sich glücklich schätzen konnten, hier unten bleiben zu dürfen. Wir ließen sie mit gefesselten Vorderbeinen an einem Bach zurück, dessen Ufer mit dichtem Gras bewachsen war, und drangen zu Fuß immer weiter bergauf in den verdammten Urwald vor.
    Ragten schwarz die düstern Fichten, ragten Tannen, wie? dachte ich, während ich über den knorrigen Stamm eines umgestürzten Baumes kletterte. Longfellow hatte ja keine Ahnung.
    Die Luft war feucht, kühl, und meine Mokassins versanken geräuschlos in jahrhundertealtem, schwarzem Laubkompost. Mein Fußabdruck im weichen Schlamm eines Bachufers wirkte so seltsam und unerwartet wie eine Dinosaurierspur.
    Wir erreichten den Gipfel eines Berges und sahen einen weiteren vor uns, und dahinter noch einen. Mir war schleierhaft, wonach wir suchten oder woran wir erkennen würden, wenn wir es gefunden hatten. Jamie legte in seinem unermüdlichen Bergwandererschritt Meilen zurück und sah sich dabei alles an. Ich trottete hinter ihm her, genoß
die Aussicht, hielt dann und wann an, um eine faszinierende Pflanze oder Wurzel zu sammeln, und verstaute meine Schätze in der Tasche an meinem Gürtel.
    Als wir über einen Kamm wanderten, fanden wir ihn von einem Heidegestrüpp versperrt: einem Berglorbeergebüsch, das aus der Entfernung zwischen den dunklen Koniferen wie eine helle, kahle Stelle aussah, sich aber aus der Nähe als undurchdringliches Dickicht erwies, dessen biegsame Zweige wie bei einem Korb ineinander verflochten waren.
    Wir kehrten um und wandten uns bergab, ließen die hohen, duftenden Tannen hinter uns, überquerten Hänge mit wildem, sonnengebleichtem Lieschgras und tauchten schließlich an einem bewaldeten Steilufer, das einen kleinen, namenlosen Fluß überblickte, wieder in das wohltuende Grün der Eichen und Hickorybäume ein.
    Es war kühl im plötzlichen Schatten der Bäume, und ich seufzte vor Erleichterung und schob mir das Haar aus dem Nacken, damit ein Luftzug an mich kam. Jamie, der mich hörte, drehte sich lächelnd um und hielt einen losen Ast zur Seite, so daß ich ihm folgen konnte.
    Wir redeten nicht viel; abgesehen davon, daß wir unseren Atem zum Klettern brauchten, schien der Berg selbst sich das Reden zu verbitten. Er war voll geheimer, grüner Winkel und schien ein lebendiger Abkömmling der alten, schottischen Berge zu sein, zwar dicht bewaldet und doppelt so hoch wie die kahlen, schwarzen, elterlichen Hügel, doch in seiner Aura lag dieselbe Mahnung zur Stille, dasselbe Versprechen der Verzauberung.
    Der Boden war hier mit einer dreißig Zentimeter tiefen Laubschicht bedeckt, die weich und schwammig unter den Füßen federte, und die Zwischenräume zwischen den Bäumen schienen eine Illusion zu sein, als könnte man plötzlich in eine andere Dimension der Realität befördert werden, wenn man zwischen diesen hohen, mit Flechten bewachsenen Stämmen hindurchschritt.
    Jamies Haar flammte in den gelegentlich eindringenden Sonnenstrahlen auf wie eine Fackel, der ich durch die Schatten des Waldes folgen konnte. Es war im Lauf der Jahre zu einem tiefen, satten Rotbraun nachgedunkelt, doch das tagelange Reiten und Wandern in der Sonne hatten es wieder ausbleichen lassen. Er hatte das Band verloren, das seine Haare zusammenhielt; er blieb stehen und strich sich die dichten, feuchten Locken aus dem Gesicht, so daß ich plötzlich den weißen Streifen über der einen Schläfe sah. Normalerweise war er unter dem dunkleren Rot verborgen und nur selten zu sehen -
eine Hinterlassenschaft der Schußwunde, die er sich in der Höhle von Abandawe zugezogen hatte.
    Trotz der Wärme erschauerte ich leicht bei dem Gedanken daran. Ich hätte es wirklich vorgezogen, Haiti und seine barbarischen Geheimnisse ganz zu

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