Der Ruf Der Trommel
gegenwärtigen Position gelandet war.
Wir hatten quasi am Rand dieses kleinen Abgrundes gestanden,
ohne daß ich es gesehen hatte, denn er war durch die dichten Büsche verdeckt. Die Panik hatte das Pferd bis an die Kante getrieben, doch offensichtlich hatte es die Gefahr gespürt und sich gefangen, bevor es abstürzte - jedoch nicht, ohne mich in den luftleeren Raum davonpurzeln zu lassen.
»Du verdammtes Mistvieh!« sagte ich. Und fragte mich, ob der unbekannte deutsche Name vielleicht etwas Ähnliches bedeutete. »Ich hätte mir den Hals brechen können!« Ich wischte mir, immer noch mit zitternder Hand, den Schmutz aus dem Gesicht und sah mich nach einer Möglichkeit um, wieder nach oben zu kommen.
Es gab keine. Hinter mir setzte sich der Felsenkamm fort und verschmolz mit einem der Granithörner. Vor mir endete er abrupt und stürzte geradewegs in ein kleines Tal. Der Abhang, auf dem ich stand, senkte sich ebenfalls in dieses Tal. Durch Sumach- und Gelbholzbaumgruppen ging es etwa noch zwanzig Meter hinab bis zu den Ufern eines Flüßchens.
Ich stand ganz still und versuchte nachzudenken. Niemand wußte, wo ich war. Davon abgesehen wußte ich auch nicht genau, wo ich war. Schlimmer noch, fürs erste würde auch niemand nach mir suchen. Jamie würde glauben, daß ich wegen des Regens immer noch bei den Muellers war. Die Muellers würden natürlich keinerlei Grund zu der Annahme haben, daß ich nicht sicher nach Hause gekommen war; und selbst wenn sie Zweifel hatten, konnten sie mir wegen des Hochwassers nicht folgen. Und bis irgend jemand den fortgespülten Pfad fand, würden alle Zeichen, daß ich dort vorbeigekommen war, längst vom Regen fortgewaschen sein.
Ich war unverletzt, das war immerhin etwas. Ich war außerdem zu Fuß, allein, ohne Proviant, einigermaßen orientierungslos und durch und durch naß. Daß ich nicht verdursten würde, war so ungefähr das einzige, was feststand.
Blitze zuckten immer noch wie sich duellierende Mistgabeln über den Himmel, obgleich der Donner zu einem dumpfen Grollen in der Ferne abgeschwollen war. Ich hatte jetzt keine sonderliche Angst mehr, vom Blitz getroffen zu werden - nicht, solange so viele geeignetere Kandidaten in Form der gigantischen Bäume herumstanden -, doch es schien trotzdem eine gute Idee zu sein, mir einen Unterstand zu suchen.
Es regnete immer noch; das Wasser tropfte mir mit monotoner Regelmäßigkeit von der Nasenspitze. Auf meinem angeschlagenen Bein humpelnd, suchte ich mir unter zahlreichen Flüchen einen Weg über den rutschigen Abhang hinunter zum Flußufer.
Auch dieser Bach war durch den Regen angeschwollen; ich sah versunkene Büsche aus dem Wasser ragen, deren Blätter schlaff in der rauschenden Strömung hingen. Es gab kein richtiges Ufer. Ich kämpfte mich zwischen den stacheligen Klauen von Stechpalmen und Wacholder hindurch zu der Felswand im Süden; vielleicht gab es dort eine Höhle oder Felsspalte, in der ich irgendwie Unterschlupf finden konnte.
Ich fand nichts als herumliegende Felsbrocken, die schwarz vor Nässe und schwierig zu umgehen waren. Ein Stück weiter sah ich allerdings etwas anderes, was mir möglicherweise Zuflucht bieten konnte.
Ein riesiger Lebensbaum war quer über den Bach gestürzt; seine Wurzeln waren unterspült worden, als das Wasser den Boden wegfraß, in dem er wuchs. Er war in die Richtung gefallen, die von mir weg zeigte, und auf dem Kliff aufgeschlagen, so daß die dichte Krone sich im Wasser und über den Felsen ausbreitete und der Stamm sich im spitzen Winkel über den Fluß neigte. Auf meiner Seite konnte ich den riesigen Teller der freigelegten Wurzeln sehen, die ein Bollwerk von Erdklumpen und kleinen Sträuchern mit sich gerissen hatten. Die darunterliegende Grube war zwar kein kompletter Unterschlupf, doch es sah aus, als wäre es dort besser als im Freien zu stehen oder im Gebüsch zu hocken.
Ich hatte mir keine Sekunde lang darüber Gedanken gemacht, ob der Unterschlupf vielleicht auch Bären, Wildkatzen oder anderes unfreundliches Getier angezogen haben könnte. Glücklicherweise war das nicht der Fall.
Der Zwischenraum maß vielleicht anderthalb Meter im Quadrat; er war muffig, dunkel und klamm. Die Decke wurde von den gewaltigen, knorrigen Wurzeln des Baumes gebildet, an denen noch sandiger Boden klebte. Es sah aus wie die Decke eines Dachsbaus. Trotzdem war es eine solide Decke; der aufgewühlte Erdboden war feucht, aber nicht schlammig, und zum ersten Mal seit Stunden trommelte mir
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