Der Ruf Der Trommel
war?
Etwas Schnelles, dachte ich zitternd, und etwas Heißes. Eintopf würde zu lange dauern; Suppe ebenfalls. Wenn es Eichhörnchen oder Kaninchen gab, könnten wir es durch einen Teig aus Eiern und Maismehl ziehen und fritieren. Wenn nicht, dann vielleicht Erbsenpürree mit etwas Speck für den Geschmack und ein paar Rühreier mit jungen Zwiebeln.
Ich duckte mich und zuckte zusammen. Trotz der Kapuze und meines dichten Haares trommelten mir die Regentropfen auf den Kopf wie Hagelkörner.
Dann erkannte ich, daß es Hagelkörper waren . Winzige, weiße Kugeln prallten vom Rücken des Pferdes ab und prasselten auf das Eichenlaub. Sekunden später waren die Körner so groß wie Murmeln, und der Hagel war so stark geworden, daß es wie Maschinengewehrfeuer knatterte, wenn er auf den feuchten Laubteppich traf.
Das Pferd warf den Kopf herum und schüttelte heftig die Mähne, um den stechenden Körnern auszuweichen. Hastig zog ich die Zügel an und lenkte es unter die Krone einer riesigen Kastanie, die uns ansatzweise Unterschlupf bot. Dort war es zwar laut, doch der Hagel prallte am dichten Laub ab, so daß wir geschützt waren.
»Gut«, sagte ich. Mit einigen Schwierigkeiten löste ich eine Hand von den Zügeln und tätschelte das Pferd beschwichtigend. »Ganz ruhig. Uns passiert schon nichts, solange hier nicht der Blitz einschlägt.«
Offensichtlich hatte diese Bemerkung jemanden auf eine Idee gebracht; lautlos durchzuckte ein greller Blitz den schwarzen Himmel hinter einem Berg namens Roan. Einige Augenblicke später dröhnte ein heftiger Donnerschlag durch das Tal, der auch das Prasseln des Hagels im Laub über unseren Köpfen übertönte.
In der Ferne sah ich über den Bergen Wetterleuchten. Dann flammten noch mehr Blitze über den Himmel, und das darauffolgende Donnergrollen wurde jedesmal lauter. Der Hagelschauer ging vorbei, und der Regen begann wieder niederzurauschen, stärker als zuvor. Unter mir verschwand das Tal in Wolken und Nebel, doch im Licht der Blitze traten die schroffen Bergkämme hervor wie Knochen auf einem Röntgenschirm.
»Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierund -« BUMM! Das Pferd riß den Kopf zurück und stampfte nervös.
»Ich weiß genau, wie dir zumute ist«, sagte ich zu ihm und blickte in das Tal hinab. »Ruhig, ganz ruhig.« Der nächste Blitz zuckte über den Himmel. Er erleuchtete den dunklen Grat so, daß ich das Abbild
der aufgestellten Pferdeohren auch in der folgenden Dunkelheit deutlich vor Augen hatte.
»Einundzwanzig, zweiund -« Ich hätte schwören können, daß der Boden bebte. Das Pferd tat einen schrillen Schrei und stieg in die Höhe, während ich an den Zügeln riß. Seine Hufe wirbelten das Laub auf. Die Luft roch nach Ozon.
Blitz.
»Ein-« sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Verdammt, steh! Einund-«
Blitz.
»Ein-«
Blitz.
»Steh. STEH!«
Ich merkte nichts von meinem Sturz und auch nicht von der Landung. In einer Sekunde zerrte ich noch wild an den Zügeln, unter mir ein tausend Pfund schweres Pferd, das panisch in alle Richtungen ausschlug. In der nächsten lag ich auf dem Rücken, über mir den schwarzen Himmel, der sich drehte, und versuchte, mein Zwerchfell zum Funktionieren zu bewegen.
Meine Muskeln bebten noch von der Erschütterung, und ich versuchte verzweifelt, Körper und Geist wieder in Einklang zu bringen. Dann holte ich mühsam japsend Atem und stellte fest, daß ich zitterte, denn auf den Schock folgten jetzt die ersten Schmerzen.
Ich lag still, schloß die Augen, konzentrierte mich auf meine Atmung und führte eine Inventur durch. Der Regen hämmerte immer noch auf mein Gesicht herab, sammelte sich in meinen Augenhöhlen und lief mir in die Ohren. Mein Gesicht und meine Hände waren taub. Meine Arme ließen sich bewegen. Ich bekam jetzt etwas besser Luft.
Meine Beine. Das linke tat weh, doch es war nicht bedrohlich; ich hatte mir nur das Knie gestoßen. Ich rollte schwerfällig auf die Seite, behindert von meinen nassen, massigen Kleidern. Und doch war es die klobige Kleidung gewesen, die mich vor schwereren Verletzungen bewahrt hatte.
Über mir erklang ein unsicheres Wiehern, das selbst im Dröhnen des Donners hörbar war. Ich blickte benommen nach oben und sah den Kopf des Pferdes gute zehn Meter über mir aus einem Himbeergestrüpp ragen. Unter dem Dickicht ging es steil und felsig nach unten; eine lange Rutschspur am unteren Ende zeigte, wo ich aufgekommen und weitergerollt war, bevor ich in meiner
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