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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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kein Regen auf den Schädel.
    Erschöpft kroch ich in die hintere Ecke, stellte meine nassen Schuhe neben mich und schlief fest ein. Die Kälte meiner nassen Kleider war schuld daran, daß ich lebhaft und wirr träumte von Blut und Geburten, von Bäumen, Felsen und Regen, und ich erwachte häufig zu jenem Halbbewußtsein, das die äußerste Ermüdung mit sich bringt, und schlief Sekunden später wieder ein.
    Ich träumte, daß ich ein Kind bekam. Ich hatte keine Schmerzen, doch ich sah den Kopf austreten, als stünde ich zwischen meinen eigenen
Oberschenkeln, Hebamme und Gebärende zugleich. Ich nahm das nackte Kind in die Arme, immer noch mit dem Blut verschmiert, das von uns beiden stammte, und reichte es seinem Vater. Ich reichte es Frank, doch es war Jamie, der dem Baby die Glückshaube vom Kopf nahm und sagte: »Sie ist wunderschön.«
    Dann erwachte ich und schlief wieder ein und bahnte mir einen Weg zwischen Felsbrocken und Wasserfällen hindurch, suchte verzweifelt etwas, das ich verloren hatte. Erwachte und schlief ein und wurde im Wald von etwas Furchtbarem, Unbekanntem verfolgt. Erwachte und schlief ein, ein Messer in meiner Hand, rot vom Blut - doch wessen Blut, das wußte ich nicht.
    Ich erwachte ganz, weil es nach Feuer roch, und fuhr senkrecht hoch. Der Regen hatte aufgehört; es war die Stille, die mich geweckt hatte, so glaubte ich. Doch der starke Rauchgeruch wich nicht aus meiner Nase - er gehörte nicht zu meinem Traum.
    Ich streckte den Kopf aus meiner Erdhöhle wie eine Schnecke, die vorsichtig aus ihrem Haus kriecht. Der Himmel war in einem blassen Lilagrau gefärbt und über den Bergen mit orangen Streifen durchzogen. Der Wald um mich herum war still, und überall tropfte es. Es war kurz vor Sonnenuntergang, und die Dunkelheit sammelte sich schon in den tieferen Lagen.
    Ich kroch ganz nach draußen und sah mich um. Hinter mir rauschte der angeschwollene Bach vorbei; sein Gurgeln war das einzige Geräusch. Vor mir stieg der Boden zu einem flachen Kamm hin an, auf dessen Grat eine hohe Balsampappel stand, die Quelle des Rauches. Der Baum war vom Blitz getroffen worden; eine Hälfte trug immer noch grünes Laub und zeichnete sich buschig vor dem blassen Himmel ab. Die andere Hälfte war entlang des gesamten massiven Stammes geschwärzt und verkohlt. Weiße Rauchwölkchen stiegen von ihm auf wie Geister auf der Flucht vor den Fesseln ihres Meisters, und rote Flammen, die unter der geschwärzten Hülle glommen, zeigten sich flüchtig.
    Ich sah mich nach meinen Schuhen um, konnte sie in der Dunkelheit aber nicht finden. Ich störte mich nicht daran, sondern wanderte, vor Anstrengung keuchend, den Kamm hinauf zu dem getroffenen Baum. All meine Muskeln waren steif vom Schlaf und von der Kälte - ich fühlte mich selbst wie ein Baum, der umständlich zum Leben erwacht und auf knorrigen, schwerfälligen Wurzeln hügelaufwärts stapft.
    Neben dem Baum war es warm. Traumhaft, wunderbar warm. Es roch nach Asche und verbranntem Ruß, doch es war warm. Ich ging
so nah heran, wie ich mich traute, breitete meinen Umhang weit aus und stand still und dampfend da.
    Eine Zeitlang versuchte ich nicht einmal nachzudenken, stand einfach nur da, spürte, wie mein ausgekühlter Körper auftaute und sich langsam wieder menschenähnlich anfühlte. Doch als mein Blut wieder zu fließen begann, fingen auch meine Verletzungen an zu schmerzen. Außerdem verspürte ich quälenden Hunger: Das Frühstück war schon lange her.
    Es sah fast so aus, als würde es bis zum Abendessen noch viel länger dauern, dachte ich grimmig. Die Dunkelheit kroch aus dem Talboden herauf, und ich wußte immer noch nicht, wo ich war. Ich warf einen Blick auf den gegenüberliegenden Hügelkamm; kein Zeichen von dem verflixten Pferd.
    »Verräter«, brummte ich. »Ist wahrscheinlich losgezogen, um sich einem Rudel Elche anzuschließen oder so ähnlich.«
    Ich rieb meine Hände; meine Kleider waren halbwegs trocken, doch die Temperatur sank ständig. Es würde eine kalte Nacht werden. War es besser, die Nacht hier unter freiem Himmel neben dem verbrannten Baum zu verbringen, oder sollte ich zu meiner Erdhöhle zurückkehren, solange ich noch genug Licht hatte?
    Ein Knacken hinter mir im Gebüsch nahm mir die Entscheidung ab. Der Baum war inzwischen abgekühlt; obwohl sich das verkohlte Holz noch heiß anfühlte, war das Feuer ausgebrannt. Es würde keine Abschreckung gegen herumstreifende Nachtjäger bedeuten. Ohne Feuer oder Waffen blieb mir nur die

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