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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Ablenkung von meiner eigenen Misere. Ich war mir wohl bewußt, daß alles, was ich während der letzten Stunde getan hatte, der Ablenkung gedient hatte; es sollte die Panik abwehren, die ich unter der Oberfläche meines Bewußtseins spüren konnte und die nur darauf wartete durchzubrechen wie das spitze Ende eines versunkenen Astes. Es würde eine lange Nacht werden.
    »Gut«, sagte ich zu dem Schädel. »Irgendwas Gutes gelesen in letzter Zeit? Nein, ich schätze, du kommst nicht mehr viel herum. Lyrik vielleicht?« Ich räusperte mich und begann mit Keats, wärmte mich auf mit »Aus Abscheu über den vulgären Aberglauben« und fuhr fort mit der »Ode an eine griechische Urne«.
    »›…und immer liebst du, immer bleibt sie schön‹«, deklamierte ich. »Es geht noch weiter, aber ich habe vergessen, wie. Ist aber nicht übel, oder? Ein bißchen Shelley vielleicht? Die ›Ode an den Westwind‹ ist gut, ich glaube, sie würde dir gefallen.«
    Mir stellte sich die Frage, warum ich das glaubte; ich hatte keinen besonderen Anlaß, Yorick für einen Indianer zu halten statt für einen Europäer, doch mir wurde klar, daß ich das tat - vielleicht lag es an dem Stein, den ich bei ihm gefunden hatte. Achselzuckend fuhr ich fort, ganz im Vertrauen, daß die große englische Dichtung die Bären und Panther genauso effektiv fernhalten würde wie ein Lagerfeuer.
    »Mach mich zu deiner Lyra wie den Wald;
Mag auch mein Laub wie seine Blätter fallen,
Dann werden deine Harmonien bald

Durch unser beider dunkle Saiten hallen,
Süß, doch voll Trauer, Geist aus meinem Geist,
Sei du mein Selbst, treib, die wie tot verschallen
     
    Wie Blätter, die du selbst vom Baume reißt,
Meine Gedanken wirbelnd übers Land,
Neu sie zu wecken. Wie mein Vers es weist
     
    Streu aus die Asche aus des Herdes Brand
Mein Wort gleich Funken aus des Feuers Kern,
Posaune sei durch meiner Lippen Band,
Der Erde künde, Wind, der Hoffnung Stern…«
    Die letzte Strophe erstarb mir auf den Lippen. Auf dem Hügel schien ein Licht. Ein kleiner Funke, der zu einer Flamme anwuchs. Zuerst dachte ich, es sei der vom Blitz getroffene Baum, ein Stück schwelende Glut, das wieder angefacht worden war - doch dann bewegte es sich. Es glitt langsam den Hügel herab auf mich zu und schwebte dabei knapp über den Büschen.
    Ich sprang auf, und erst da fiel mir wieder ein, daß ich keine Schuhe anhatte. Ich tastete verzweifelt auf dem Boden herum und durchkämmte die kleine Höhle wieder und wieder. Doch es war vergeblich. Meine Schuhe waren fort.
    Ich hob den Schädel auf und stand barfuß da, das Gesicht dem Licht zugewandt.
     
    Ich beobachtete, wie das Licht näher kam und den Hügel herunterdriftete wie eine Pusteblume. Ein einziger Gedanke ging mir durch den gelähmten Verstand, - Shelleys »Ich trotz dir, Unhold! mit ruhigem festen Sinn«. Irgendwo in den dunkleren Winkeln meines Bewußtseins traf ich die Feststellung, daß Shelley viel bessere Nerven gehabt hatte als ich. Ich umklammerte den Schädel noch fester. Er war keine besonders wirksame Waffe - aber irgendwie hatte ich das Gefühl, daß sich das, was da auf mich zukam, von Messern oder Pistolen ebenfalls nicht vertreiben lassen würde.
    Nicht nur, daß es mir aufgrund der Feuchtigkeit extrem unwahrscheinlich erschien, daß jemand mit einer brennenden Fackel durch den Wald spazierte. Das Licht schien nicht wie eine Kiefernfackel oder eine Öllampe. Es flackerte nicht, sondern brannte in einem sanften, beständigen Glühen.
    Es schwebte etwas mehr als einen Meter über dem Boden, etwa
dort, wo jemand eine Fackel halten würde, die er vor sich her trug. Es näherte sich langsam mit der Geschwindigkeit eines Wanderers. Ich sah, wie es sich im Rhythmus eines regelmäßigen Schrittes leicht auf und ab bewegte.
    Ich kauerte in meiner Grube, halb verborgen hinter dem Erdwall und den freiliegenden Wurzeln. Es war eiskalt, doch mir lief der Schweiß am Körper herunter, und ich konnte die Ausdünstung meiner eigenen Angst riechen. Meine tauben Zehen krallten sich in den Boden, bereit wegzulaufen.
    Ich hatte schon einmal Elmsfeuer gesehen, auf See. Das war zwar unheimlich gewesen, doch das flüssige blaue Flackern hatte keine Ähnlichkeit mit dem blassen Licht, daß sich mir jetzt näherte. Es schlug weder Funken, noch besaß es eine Farbe; es glühte nur gespenstisch. Sumpfgas, sagten die Leute in Cross Creek, wenn jemand die Berglichter erwähnte.
    Ha, sagte ich zu mir, allerdings lautlos. Sumpfgas,

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