Der Ruf Der Trommel
ganz bestimmt!
Das Licht durchquerte ein kleines Erlendickicht und trat dann vor mir auf die Lichtung. Es war kein Sumpfgas.
Er war hochgewachsen, und er war nackt. Außer seinem Lendenschurz trug er nur Farbe. An Armen, Beinen und Köper zogen sich lange rote Streifen entlang, und sein Gesicht war vom Kinn bis zur Stirn völlig schwarz. Sein Haar war eingefettet und zu einem Kamm frisiert, aus dem zwei Truthahnfedern steif herausragten.
Ich war unsichtbar, völlig verborgen in der Dunkelheit meiner Zuflucht, während seine Fackel ihn mit weichem Licht umgab, das auf seiner unbehaarten Brust und seinen Schultern glänzte und seine Augen in Schatten tauchte. Doch er wußte, daß ich da war.
Ich wagte nicht, mich zu bewegen. Mein Atem klang mir furchtbar laut in den Ohren. Er stand einfach nur da, vielleicht vier Meter von mir entfernt, und blickte in die Dunkelheit, geradewegs in meine Richtung, als wäre es hellichter Tag. Und das Licht seiner Fackel brannte beständig und lautlos, bleich wie eine Grabkerze, ohne daß ihr Holz verzehrt wurde.
Ich weiß nicht, wie lange ich so wartete, ehe mir auffiel, daß ich keine Angst mehr hatte. Es war immer noch kalt, doch mein Herzschlag hatte sich auf seine normale Geschwindigkeit verlangsamt, und meine nackten Zehen hatten sich entspannt.
»Was willst du?« fragte ich, und erst da fiel mir auf, daß schon seit einiger Zeit zwischen uns eine Art Kommunikation stattfand. Was auch immer das hier war, es kannte keine Worte. Wir wechselten keine zusammenhängenden Sätze - und doch tauschten wir etwas aus.
Ein leichter Wind hatte die Wolkendecke aufgerissen, und zwischen den dahinrasenden Zirruswolken waren dunkle Streifen sternenklaren Himmels zu sehen. Im Wald war es still, doch es war die übliche Stille eines durchnäßten, nächtlichen Waldes; erfüllt vom Ächzen und Seufzen der hohen Bäume, die sich im Wind wiegten, dem Rascheln der Sträucher, durch die der rastlose, scharfe Wind fuhr, und im Hintergrund vom ständigen Rauschen unsichtbaren Wassers, als wäre es ein Echo der Unruhe hoch oben in der Luft.
Ich atmete tief ein und fühlte mich plötzlich sehr lebendig. Die Luft war schwer und süß vom Dunst der grünen Pflanzen, von herben Kräutern und erdigem Laub, von den Düften des Sturms überlagert und durchzogen - nasser Fels, feuchte Erde, aufsteigender Nebel und ein scharfer Ozonhauch, so unvermittelt wie der Blitz, der den Baum getroffen hatte.
Erde und Luft, dachte ich plötzlich, und dazu Feuer und Wasser. Und hier stand ich mit allen Elementen - in ihrer Mitte und in ihrer Gewalt.
»Was willst du?« fragte ich noch einmal und fühlte mich hilflos. »Ich kann nichts für dich tun. Ich weiß, daß du da bist; ich kann dich sehen. Aber das ist alles.«
Nichts bewegte sich, es fielen keine Worte. Doch der Gedanke formte sich glasklar in meinem Verstand, mit einer Stimme, die nicht die meine war.
Das reicht völlig, lautete er.
Ohne jede Hast drehte er sich um und entfernte sich. Als er zwei Dutzend Schritte gegangen war, verlosch das Licht seiner Fackel, verschwand wie das letzte Glühen, wenn das Zwielicht zur Nacht wird.
»Oh«, sagte ich völlig verständnislos. »Meine Güte.« Meine Beine zitterten, und ich setzte mich hin und wiegte den Totenschädel - den ich fast vergessen hatte - in meinem Schoß.
So saß ich lange da, sah mich um und lauschte, doch es geschah nichts weiter. Die Berge umgaben mich dunkel und undurchdringlich. Vielleicht konnte ich am Morgen zum Pfad zurückfinden, doch ein Versuch im Dunkeln konnte nur in einer Katastrophe enden.
Ich hatte keine Angst mehr; sie war von mir gewichen während meiner Begegnung mit - was auch immer es war. Ich fror immer noch und war sehr, sehr hungrig. Ich legte den Schädel auf den Boden, rollte mich neben ihm zusammen und zog meinen feuchten Umhang um mich. Es dauerte lange, bis ich einschlief. Ich lag in meiner feuchten Grube und beobachtete die Sterne durch Lücken in der Wolkendecke.
Ich versuchte, mir einen Reim auf die vergangene halbe Stunde zu machen, doch eigentlich gab es nichts zu verstehen; eigentlich war überhaupt nichts geschehen. Und doch war er dagewesen. Ich spürte immer noch seine vage, beruhigende Anwesenheit, und schließlich schlief ich ein, die Wange auf ein Kissen aus feuchten Blättern gebettet.
Kälte und Hunger brachten mir unangenehme Träume; eine Folge unzusammenhängender Bilder. Vom Blitz getroffene Bäume, die wie Fackeln brannten. Entwurzelte Bäume,
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