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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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brauchbaren Dingen Ausschau. Es war zu früh im Jahr für die meisten Heilkräuter; eine Pflanze diente um so besser als Arznei, je älter und widerstandsfähiger sie war; mehrere im Kampf gegen Insekten verbrachte Jahreszeiten garantierten eine höhere Konzentration der aktiven Wirkstoffe in ihren Wurzeln und Stengeln.
    Außerdem waren es bei den meisten Pflanzen die Blüten, Früchte oder Samen, die eine nützliche Substanz freigaben. Ich hatte zwar an einigen Stellen Schöllkraut und Lobelien im Schlamm am Wegrand erspäht, doch sie hatten schon lange ihre Samen vestreut. Ich merkte mir die Fundstellen sorgfältig für später und setzte meine Jagd fort.
    Es gab Brunnenkresse im Überfluß; sie trieb an vielen Stellen zwischen den Felsen am Rand des Baches, und eine ausgedehnte Matte der würzigen, dunkelgrünen Blätter lag verführerisch genau vor mir. Und was für ein schönes Schilfdickicht, dessen Kolben sich da aneinanderrieben! Ich war barfuß hergekommen, weil ich wußte, daß ich über kurz oder lang sowieso im Wasser waten würde; ich raffte meine Röcke hoch und begab mich vorsichtig in den Bach, ein Messer in der Hand und den Korb über dem Arm, den Atem vor Eiseskälte angehalten.
    Meine Füße verloren innerhalb von Sekunden jedes Gefühl - doch ich störte mich nicht daran. Ich vergaß die Schlange im Abort, das Schwein in der Vorratskammer und den Indianer im Maisspeicher völlig, so nahmen mich das Wasser, das an meinen Beinen vorbeirauschte, die feuchte, kalte Berührung der Pflanzenstengel und der Duft der aromatischen Blätter gefangen.
    Libellen hingen über den von der Sonne beschienenen Untiefen, und Elritzen schossen auf der Jagd nach unsichtbaren Mücken an mir vorbei. Irgendwo weiter flußaufwärts rief ein Eisvogel mit lautem, trockenen Rasseln, doch er war hinter größeren Beutetieren her. Die Elritzen stoben bei meinem Eindringen auseinander, schwärmten dann aber wieder zurück, grau und silbern, grün und golden, schwarz mit weißer Zeichnung, so unwirklich wie die Schatten des Laubes vom vergangenen Jahr. Brown’sche Molekularbewegungen, dachte ich, während ich zusah, wie kleine Lehmwolken aufstiegen, um meine Knöchel wirbelten und die Fische einnebelten.
    Alles in ständiger Bewegung, bis hin zum kleinsten Molekül - und inmitten der Bewegung der paradoxe Eindruck des Stillstandes, das Chaos im Kleinen wich der Illusion einer größeren, allgemeinen Ordnung.
    Ich bewegte mich ebenfalls, nahm teil am leuchtenden Tanz des
Baches, spürte, wie sich Licht und Schatten auf meinen Schultern abwechselten, während meine Zehen auf den schlüpfrigen, kaum sichtbaren Felsen Halt suchten. Meine Hände und Füße waren taub vom Wasser; ich fühlte mich, als bestünde ein Teil von mir aus Holz und wäre dennoch zutiefst lebendig, wie die Silberbirke, die über mir aufleuchtete, oder die Weiden, deren feuchte Blätter in den Teich hingen.
    Vielleicht entstanden so die Legenden von grünen Männern und die Mythen von verwandelten Nymphen, dachte ich; nicht, wenn ein Baum lebendig wurde, und auch nicht, wenn sich eine Frau in Holz verwandelte - sondern wenn ein warmer Menschenkörper in die kälteren Sinneswahrnehmungen der Pflanzen eintauchte und sich so weit abkühlte, daß sich sein Bewußtsein verlangsamte.
    Ich spürte mein Herz langsam schlagen, und das Blut pochte halb schmerzhaft in meinen Fingern. Aufsteigende Säfte. Ich bewegte mich mit den Rhythmen von Wasser und Wind, ohne Hast oder bewußte Gedanken, Teil der langsamen und perfekten Ordnung des Universums.
    Ich hatte die Sache mit dem Chaos im Kleinen ganz vergessen.
    Gerade, als ich die Flußbiegung mit den Weiden erreichte, erscholl jenseits der Bäume ein lautes Kreischen. Ich hatte schon ähnliche Laute von einer Vielzahl von Tieren gehört, von Leoparden bis hin zu jagenden Adlern, doch ich erkannte eine menschliche Stimme, wenn ich sie hörte.
    Ich stolperte aus dem Bach und schob mich durch das Gewirr der Zweige. Dann brach ich zu der freien Stelle durch. Ein Junge tanzte am Ufer herum, klatschte wie verrückt auf seine Beine und heulte, während er hin und her hüpfte.
    »Was -?« begann ich, und er blickte zu mir auf, die blauen Augen aufgerissen, erschrocken über mein plötzliches Auftauchen.
    Er war nicht annähernd so erschrocken wie ich. Er war elf oder zwölf; hochgewachsen und dünn wie ein Kiefernschößling mit einem zerzausten, kastanienbraunen Lockenkopf.
    Schräggestellte, blaue Augen starrten mich zu beiden

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