Der Ruf Der Trommel
die Eier auftischte. »Vielleicht gehe ich heute morgen zu dem Weidenhain am Bach.«
»Mmpfm.« Jamie streckte eine Hand aus und tastete geistesabwesend auf der Suche nach dem Brotteller auf dem Tisch herum. Seine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf das Buch, in dem er las, Bricknells Naturgeschichte North Carolinas.
»Hier ist es ja«, sagte er. »Ich wußte doch, daß ich einen Absatz über Klapperschlangen gesehen hatte.« Er fand das Brot, nahm sich ein Stück und schob sich damit einen herzhaften Bissen Rührei in den Mund. Nachdem er sich diesen einverleibt hatte, las er laut vor. Dabei hielt er das Buch in der einen Hand, während er mit der anderen weiter auf dem Tisch herumsuchte.
»›Die Indianer ziehen den Schlangen oft die Zähne, so daß sie hinterher kein Unheil mehr anrichten können, indem sie ein Stück roten Wollstoff an das Ende eines langen, hohlen Stockes binden und damit die Schlange zum Beißen reizen, es dann plötzlich von ihr wegziehen, wobei die Zähne in dem Stoff hängenbleiben und von allen Anwesenden gut gesehen werden können.‹«
»Haben wir roten Stoff, Tante Claire?« fragte Ian, während er seine eigene Portion Ei mit Zichorienkaffee hinunterspülte.
Ich schüttelte den Kopf und spießte das letzte Würstchen auf, bevor Jamies suchende Hand es erreichte.
»Blau, grün, gelb, grau, weiß und braun. Kein Rot.«
»Das ist aber ein praktisches Buch, Onkel Jamie«, sagte Ian anerkennend. »Steht da noch mehr über die Schlangen?« Er blickte hungrig über die Tischoberfläche und suchte nach etwas Eßbarem. Ich griff kommentarlos in den Geschirrschrank und zog einen Teller Muffins hervor, den ich vor ihn hinstellte. Er seufzte glücklich und stürzte sich darauf, während Jamie umblätterte.
»Also, hier steht noch etwas darüber, wie Klapperschlangen Eichhörnchen oder Kaninchen bezirzen.« Jamie faßte seinen Teller an, fand aber nur eine leere Oberfläche. Ich schob die Muffins in seine Richtung.
»›Es ist überraschend zu beobachten, wie diese Schlangen Eichhörnchen, Kaninchen, Rebhühner und viele andere, kleine Tiere und Vögel anlocken, die sie hurtig verschlingen. Die Anziehungskraft ist so stark, daß man sehen kann, wie das Eichhörnchen oder Rebhuhn (sobald es die Schlange erspäht hat) von Ast zu Ast hüpft oder fliegt, bis es ihr schließlich direkt ins Maul rennt oder springt, denn es hat nicht die Kraft, seinem Feind auszuweichen, der sich niemals aus seiner Position oder Spirale regt, bis er seine Beute errungen hat.‹«
Auf ihrer blinden Suche nach Nahrung stieß seine Hand auf die Muffins. Er griff zu und blickte zu mir auf. »Ich will verdammt sein, wenn ich das jemals selbst gesehen habe. Meinst du, es stimmt?«
»Nein«, sagte ich und schob mir die Locken aus der Stirn. »Hat dieses Buch irgendwelche hilfreichen Vorschläge für den Umgang mit gemeingefährlichen Schweinen anzubieten?«
Er schwenkte geistesabwesend die Reste seines Muffins.
»Keine Sorge«, murmelte er. »Mit dem Schwein komme ich schon zurecht.« Er hob die Augen gerade lange genug von seinem Buch, um seinen Blick über den Tisch und das leere Geschirr schweifen zu lassen. »Haben wir keine Eier mehr?«
»Doch, aber die bringe ich unserem Gast in den Maisspeicher.« Ich legte noch zwei Scheiben Brot in den kleinen Korb, den ich gerade packte, und nahm die Flasche mit der Infusion, die ich über Nacht hatte ziehen lassen. Die Brühe aus Goldrute, Melisse und wilder Bergamotte war schwärzlich grün und roch nach verbrannten Feldern, aber vielleicht half sie ja. Sie konnte zumindest nicht schaden. Einem Impuls folgend, ergriff ich das Amulett aus zusammengebundenen Federn, das die alte Nayawenne mir gegeben hatte; vielleicht würde es den Kranken beruhigen. Genau wie die Arznei konnte es zumindest nicht schaden.
Unser unerwarteter Gast war ein Fremder; ein Tuscarora aus einem
Dorf im Norden. Er war vor einigen Tagen mit einer Gruppe von Jägern aus Anna Ooka, die einem Bären folgte, auf den Hof gekommen.
Wir hatten ihnen Essen und Trinken angeboten - einige der Jäger waren Ians Freunde -,doch im Verlauf der Mahlzeit war mir aufgefallen, daß dieser Mann mit glasigen Augen in seine Tasse stierte. Bei näherer Betrachtung hatte sich herausgestellt, daß er an etwas litt, was meiner Überzeugung nach die Masern waren, in dieser Zeit eine besorgniserregende Krankheit.
Er hatte darauf bestanden, gemeinsam mit seinen Begleitern aufzubrechen, doch ein paar Stunden später
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