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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Einige ließen erkennen, daß sie seine Gegenwart wahrnahmen; andere starrten blicklos in eine Ferne, die er nur allzugut kannte - die Aussicht auf grenzenloses Leid und Verzweiflung. Viel zu viele fehlten.
    Er sah so etwas nicht zum ersten Mal, und die Geister des Krieges und des Mordens zerrten im Vorübergehen an ihm. Er hatte einmal in den Highlands eine junge Frau gesehen, die auf der Schwelle ihres qualmenden Hauses saß, die Leiche ihres Mannes zu ihren Füßen; sie hatte dasselbe betäubte Aussehen gehabt wie die junge Indianerin unter der Platane.
    Doch allmählich wurde ihm bewußt, daß hier irgend etwas anders war. Auf der Lichtung standen einzelne Wigwams; an ihrem Rand waren Bündel aufgehäuft, und an den Bäumen waren Pferde und Ponies angebunden. Dies war kein überstürzter Exodus von Menschen, die vor Plünderern um ihr Leben liefen - es war ein geordneter Rückzug, und sie hatten den Großteil ihrer Habe ordentlich zusammengepackt und mitgebracht. Was in Gottes Namen hatte sich heute in Anna Ooka zugetragen?

    Nacognaweto befand sich in einem Wigwam auf der anderen Seite der Lichtung. Onakara hob den Vorhang und wies Jamie kopfnikkend an, einzutreten.
    Bei seinem Eintreten sprang ein plötzlicher Funke in den Augen des älteren Mannes auf, der aber sofort erstarb, als Nacognaweto sein Gesicht und die Schatten des vergangenen Schmerzes darin sah.
    »Du bist nicht auf sie, die heilt, getroffen, oder die Frau, in deren Langhaus ich gelebt habe?«
    Da Jamie mit der Sitte der Indianer vertraut war, nach der es sich nicht gehörte, den Namen eines Menschen auszusprechen, wußte er, daß er sich auf Gabrielle und die alte Nayawenne beziehen mußte. Er schüttelte den Kopf und war sich bewußt, daß er mit dieser Geste wohl den letzten Hoffnungsfunken zerstörte, den der andere Mann noch gehegt hatte. Es war kein Trost, doch er zog die Brandyflasche aus seinem Gürtel und bot sie als stumme Entschuldigung dafür an, daß er keine guten Nachrichten überbringen konnte.
    Nacognaweto nahm sie an und rief mit einer Geste eine Frau herbei, die in einem der Bündel an der Lederwand herumkramte und einen Kürbisbecher zum Vorschein brachte. Der Indianer schenkte eine Alkoholmenge ein, die ausreichte, um einen Schotten flachzulegen, und trank einen großen Schluck, bevor er Jamie den Becher reichte.
    Er nippte aus Höflichkeit daran und gab Nacognaweto den Becher zurück. Es war unhöflich, sofort zum Grund seines Besuches zu kommen, doch er hatte keine Zeit für Palaver, und er konnte sehen, daß dem anderen Mann ebenfalls nicht der Sinn danach stand.
    »Was ist geschehen?« fragte er ohne Umschweife.
    »Krankheit«, antwortete Nacognaweto leise. Seine Augen glänzten feucht und tränten vom Aroma des Brandys. »Wir sind verflucht.«
    Zwischen weiteren Brandyschlucken kam die Geschichte mit Unterbrechungen ans Licht. Im Dorf waren die Masern ausgebrochen und hatten es wie eine Feuersbrunst durchfegt. Innerhalb einer Woche war ein Viertel der Dorfbewohner tot; jetzt war kaum noch ein Viertel am Leben.
    Als die Krankheit ausgebrochen war, hatte Nayawenne über den Opfern gesungen. Als immer mehr erkrankten, war sie in den Wald gegangen auf der Suche nach… Jamie beherrschte die Tuscarorasprache nicht genügend, um die Worte zu verstehen. Einem Zauber, dachte er - irgendeiner Pflanze? Oder vielleicht ersuchte sie um eine Vision, die ihnen sagte, was sie tun sollten, wie sie das Böse wiedergutmachen konnten, das die Krankheit über sie gebracht hatte, oder
den Namen des Feindes preisgab, der sie verflucht hatte. Gabrielle und Berthe waren mit ihr gegangen, weil sie alt war und nicht allein gehen sollte - und keine der drei Frauen war zurückgekehrt.
    Nacognaweto schwankte ganz sacht im Sitzen und umklammerte den Kürbisbecher mit den Händen. Die Frau beugte sich über ihn und versuchte, ihm den Becher wegzunehmen, doch er schüttelte sie achselzuckend ab, und sie ließ ihn in Ruhe.
    Sie hatten nach den Frauen gesucht, aber keine Spur von ihnen gefunden. Vielleicht hatten Räuber sie gefangen, vielleicht waren sie auch erkrankt und im Wald gestorben. Doch das Dorf war ohne Shaman , ohne Fürsprecher, und die Götter hatten ihnen kein Gehör geschenkt.
    »Wir sind verflucht.«
    Nacognawetos Worte kamen gedehnt, und der Becher neigte sich gefährlich in seinen Händen. Die Frau kniete sich hinter ihn und legte ihm ihre Hände auf die Schultern, um ihn zu stützen.
    »Wir haben die Toten in den Häusern

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