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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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eine Erklärung zu versuchen. »Sie sterben hier so leicht. Vor allem die Jüngeren. Es ist nicht so, als hätte ich das nicht schon öfter erlebt. Und es gibt so selten etwas, das ich tun kann.«
    Ich spürte etwas Warmes auf meiner Wange und stellte überrascht fest, daß es eine Träne war. Er griff in seinen Ärmel, zog ein Taschentuch hervor und reichte es mir. Es war nicht sonderlich sauber, aber das kümmerte mich nicht.
    »Ich habe mich manchmal gefragt, was er in Euch sieht«, sagte er in betont harmlosem Tonfall. »Jamie.«
    »Oh, wirklich? Wie schmeichelhaft.« Ich schniefte und putzte mir die Nase.
    »Als er anfing, von Euch zu sprechen, hielten wir Euch beide für tot«, erläuterte er. »Und Ihr seid zwar zweifellos eine schöne Frau, doch von Eurem Aussehen hat er nie gesprochen.«
    Zu meiner Überraschung ergriff er meine Hand und hielt sie sachte in der seinen.
    »Ihr habt seinen Mut«, sagte er.
    Das brachte mich zum Lachen, wenn auch nur halbherzig.
    »Wenn Ihr nur wüßtet«, sagte ich.
    Er antwortete nicht darauf, sondern lächelte schwach. Sein Daumen
fuhr leicht über die Knöchel meiner Hand, und seine Berührung war leicht und warm.
    »Er würde sich niemals vor etwas drücken, nur weil er Angst vor aufgeschürften Knöcheln hat«, sagte er. »Und Ihr auch nicht.«
    »Das kann ich gar nicht.« Ich holte tief Luft und wischte mir die Nase ab; die Tränen waren versiegt. »Ich bin Ärztin.«
    »Das stimmt«, sagte er und hielt inne. »Ich habe Euch noch nicht für mein Leben gedankt.«
    »Das war nicht ich. Es gibt wirklich nicht viel, das ich im Fall einer solchen Krankheit tun kann. Alles, was ich tun kann, ist… dazusein.«
    »Ein bißchen mehr als das«, sagte er trocken und ließ meine Hand los. »Wollt Ihr noch Ale?«
    Ich begann meinerseits deutlich zu sehen, was Jamie in Lord John sah.
    Der Nachmittag verstrich ruhig. Ian warf sich stöhnend hin und her, doch am späten Nachmittag war der Ausschlag voll entwickelt, und sein Fieber schien etwas zu sinken. Er würde sicher noch nichts essen wollen, doch vielleicht konnte ich ihn dazu bewegen, etwas Milchsuppe zu sich zu nehmen. Der Gedanke erinnerte mich daran, daß es fast Zeit zum Melken war, und mit einem geflüsterten Wort zu Lord John stand ich auf und legte meine Stopfarbeit beiseite.
    Ich öffnete die Tür des Blockhauses, trat hinaus und prallte direkt auf Gerhard Mueller, der im Eingang stand.
    Muellers Augen waren rötlich-braun und schienen stets mit einer inneren Intensität zu brennen. Dank der verletzlichen Durchsichtigkeit der Haut, die sie umgab, brannten sie jetzt noch heller. Seine tiefliegenden Augen fixierten mich, und er nickte, einmal, dann noch einmal.
    Mueller war zusammengeschrumpft, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Alles Fleisch war von ihm abgefallen; er war immer noch ein Hüne, doch jetzt bestand er mehr aus Knochen denn aus Muskeln, ausgezehrt und uralt. Seine Augen waren gebannt auf die meinen gerichtet, der einzige Lebensfunke in einem Gesicht, das aussah wie verschrumpeltes Papier.
    »Herr Mueller«, sagte ich. In meinen Ohren klang meine Stimme ruhig; ich hoffte, sie hörte sich für ihn genauso an. »Wie geht es Euch?«
    Der alte Mann stand schwankend vor mir, als würde ihn der Abendwind jeden Moment umpusten. Ich wußte nicht, ob er sein Reittier verloren oder es unterhalb des Abhangs zurückgelassen hatte, doch ich sah keine Spur von einem Pferd oder Maultier.

    Er trat einen Schritt auf mich zu, und ich trat unwillkürlich einen zurück.
    »Frau Klara«, sagte er mit einem bittenden Unterton in der Stimme.
    Ich hielt inne, denn ich wollte Lord John rufen, zögerte aber. Er würde mich nicht mit meinem Vornamen anreden, wenn er mir etwas antun wollte.
    »Sie sind tot«, sagte er. »Mein Mädchen. Mein Kind.« Tränen quollen plötzlich in den blutunterlaufenen Augen auf und rollten ihm langsam durch die wettergegerbten Furchen seines Gesichtes. Das Elend in seinen Augen war so unmittelbar, daß ich seine große, von der Arbeit gezeichnete alte Hand in die meine nahm.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Es tut mir leid.«
    Er nickte erneut, und sein alter Mund arbeitete dabei. Er ließ sich von mir zu der Bank neben der Tür führen, wo er sich so plötzlich hinsetzte, als wäre ihm jegliche Kraft aus den Beinen gewichen.
    Die Tür ging auf, und John Grey kam heraus. Er hatte seine Pistole in der Hand, ließ sie aber sofort in sein Hemd gleiten, als ich den Kopf schüttelte. Der alte Mann hatte

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