Der Ruf Der Trommel
starrte sie einfach nur überwältigt an. Ihre Halsbinde würgte sie, und ihre Hände fühlten sich eisig an, obwohl Ian sie festhielt.
»Deine Mutter«, wiederholte Laoghaire ungeduldig. »Wer war sie?«
»Es spielt keine Rolle, wer…«, begann Jenny, doch Laoghaire baute sich mit zornrotem Gesicht vor ihr auf.
»Oh, doch, es spielt eine Rolle. Wenn er sie von irgendeiner Armeehure hat oder von einer Schlampe von Dienstmädchen in England - das ist eine Sache. Aber wenn sie…«
»Laoghaire!«
»Schwester!«
»Du altes Schandmaul!«
Brianna beendete das Geschrei, indem sie einfach aufstand. Sie war genausogroß wie die Männer und überragte die Frauen. Laoghaire trat einen Schritt zurück. Alle Gesichter im Zimmer waren auf sie gerichtet, erfüllt von Feindseligkeit, Mitgefühl oder schlichter Neugier.
Mit einer Kaltblütigkeit, die sie nicht fühlte, tastete Brianna nach der Innenseite ihres Rockes, der Geheimtasche, die sie erst vor einer Woche in den Saum genäht hatte. Es kam ihr wie ein Jahrhundert vor.
»Meine Mutter heißt Claire«, sagte sie und ließ die Halskette auf den Tisch fallen.
Es herrschte völliges Schweigen im Raum, nur das gedämpfte Torffeuer, das im Kamin brannte, zischte leise. Das Perlenhalsband lag glänzend da, und die Frühlingssonne, die durchs Fenster schien, ließ die durchbohrten Goldkügelchen wie Funken aufleuchten.
Es war Jenny, die zuerst sprach. Wie eine Schlafwandlerin streckte sie einen ihrer schlanken Finger aus und berührte eine der Perlen. Süßwasserperlen von der Sorte, die man barock nennt wegen ihrer einzigartigen, unregelmäßigen, unverwechselbaren Form.
»O je«, sagte Jenny leise. Sie hob den Kopf und sah Brianna ins Gesicht, und ihre schrägstehenden, blauen Augen schimmerten, als weinte sie. »Ich freue mich so, dich zu sehen - Nichte.«
»Wo ist meine Mutter? Wißt ihr das?« Brianna blickte von Gesicht zu Gesicht, und das Herz schlug ihr heftig in den Ohren. Laoghaire sah sie nicht an; ihr Blick haftete an den Perlen, ihr Gesicht wirkte wie eingefroren.
Jenny und Ian tauschten einen schnellen Blick aus, dann stand Ian auf. Er bewegte sich umständlich, um das Bein unter sich zu schieben.
»Sie ist bei deinem Pa«, sagte er und berührte Briannas Arm. »Mach dir keine Sorgen, Kleine; sie sind beide in Sicherheit.«
Brianna widerstand dem Impuls, vor Erleichterung zusammenzubrechen. Statt dessen atmete sie ganz vorsichtig aus und spürte, wie sich der Knoten der Anspannung in ihrem Bauch langsam löste.
»Danke«, sagte sie. Sie versuchte, Ian zuzulächeln, doch ihr Gesicht fühlte sich schlaff und gummiartig an. In Sicherheit. Und zusammen. Oh, danke! dachte sie in stummer Dankbarkeit.
»Die gehören von Rechts wegen mir.« Laoghaire wies auf die Perlen. Jetzt war sie nicht mehr aufgebracht, sondern voll kalter Selbstkontrolle. Jetzt, wo ihr Gesicht nicht mehr vor Wut verzerrt war, konnte Brianna sehen, daß sie einmal sehr hübsch gewesen und
immer noch eine gutaussehende Frau war - hochgewachsen für eine Schottin und von einer gewissen Eleganz der Bewegung. Sie hatte jene Art empfindlicher, heller Hautfarbe, die schnell verwelkt, und sie war um die Hüften dicker geworden, doch ihre Gestalt war immer noch aufrecht und fest, und in ihrem Gesicht war immer noch der Stolz einer Frau zu sehen, die sich der Tatsache bewußt ist, daß sie einmal schön war.
»Nein, das tun sie nicht!« sagte Jenny in einem kurzen Temperamentsausbruch. »Das waren die Juwelen meiner Mutter, die mein Vater Jamie für seine Frau gegeben hat, und…«
»Und seine Frau bin ich«, unterbrach Laoghaire. Dann sah sie Brianna an. Es war ein kalter, abschätzender Blick.
»Ich bin seine Frau«, wiederholte sie. »Ich habe ihn guten Glaubens geheiratet, und er hat mir Bezahlung für das versprochen, was er mir angetan hat.« Sie ließ ihren kalten Blick zu Jenny wandern. »Ich habe seit über einem Jahr keinen Penny mehr gesehen. Soll ich etwa meine Schuhe verkaufen, um meine Tochter zu ernähren - die einzige, die er mir gelassen hat?«
Sie hob das Kinn und sah Brianna an.
»Wenn Ihr seine Tochter seid, dann sind seine Schulden auch die Euren. Sag’s ihr, Hobart.«
Hobart sah etwas verlegen aus.
»Also, Schwester«, sagte er und legte ihr als Beschwichtigungsversuch die Hand auf den Arm. »Ich denke nicht…«
»Nein, das tust du nicht, schon seit deiner Geburt!« Irritiert schüttelte sie ihn ab und streckte die Hand nach den Perlen aus. »Sie gehören
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