Der Ruf Der Trommel
offenem Mund an, doch ihre ganze Aufmerksamkeit galt Laoghaire MacKenzie.
»Blödsinn«, sagte sie erneut und zeigte mit dem Finger auf die Frau. »Wenn sie sich vor jemandem hüten sollten, dann seid Ihr es, verdammte Mörderin!«
Laoghaires Mund stand weiter offen als der von irgend jemandem sonst, doch es kam kein Ton heraus.
»Ihr habt ihnen nicht alles über Cranesmuir erzählt, oder? Meine Mutter hätte es tun sollen, doch sie hat es nicht getan. Sie dachte, Ihr wärt zu jung gewesen, um zu wissen, was Ihr tut. Das wart Ihr aber nicht, stimmt’s?«
»Was…?« sagte Jenny mit schwacher Stimme.
Jamie warf seinem Vater wilde Blicke zu, der wie vor den Kopf geschlagen dastand und Brianna anstarrte.
»Sie hat versucht, meine Mutter umzubringen.« Brianna hatte Schwierigkeiten, ihre Stimme zu kontrollieren; sie überschlug sich und bebte, doch sie brachte die Worte heraus. »Nicht wahr? Ihr habt ihr gesagt, Geillis Duncan sei krank und habe sie rufen lassen - Ihr habt gewußt, daß sie gehen würde, sie ist zu jedem Kranken gegangen, sie ist Ärztin! Ihr habt gewußt, daß man Geillis Duncan wegen Hexerei festnehmen würde und meine Mutter gleich mit, wenn man sie bei ihr antraf! Ihr habt gedacht, sie würden sie verbrennen, und dann könntet Ihr ihn haben - Jamie Fraser.«
Laoghaire war bleich bis auf die Lippen, ihr Gesicht reglos wie Stein. Selbst ihre Augen waren ohne Leben; sie waren leer und stumpf wie Murmeln.
»Ich konnte ihre Hand auf ihm spüren«, flüsterte sie. »Im Bett. Sie hat zwischen uns gelegen, ihre Hand auf ihm, so daß er steif wurde und im Schlaf nach ihr rief. Sie war eine Hexe. Ich habe es immer gewußt.«
Das Zimmer war still bis auf das Zischen des Feuers und den zarten Gesang eines kleinen Vogels vor dem Fenster. Schließlich rührte sich Hobart MacKenzie und trat vor, um seine Schwester beim Arm zu nehmen.
»Komm mit, a leannan «, sagte er ruhig. »Ich bringe dich jetzt nach Hause.« Er nickte Ian zu, der das Nicken erwiderte und eine kleine Geste machte, die Mitgefühl und Bedauern ausdrückte.
Laoghaire ließ sich widerstandslos von ihrem Bruder wegführen, doch an der Tür blieb sie stehen und drehte sich um. Brianna stand still, sie glaubte nicht, daß sie sich bewegen könnte, selbst wenn sie es versuchte.
»Wenn Ihr Jamie Frasers Tochter seid«, sagte Laoghaire mit kalter, klarer Stimme, »und vielleicht seid Ihr das, so wie Ihr ausseht - dann sollt Ihr das hier wissen. Euer Vater ist ein Lügner und ein Zuhälter, ein Betrüger und ein Kuppler. Ich wünsche Euch viel Freude aneinander.« Dann fügte sie sich Hobart, der sie am Ärmel zog, und die Tür fiel hinter ihr zu.
Die Wut, die sie erfüllt hatte, verebbte plötzlich, und Brianna beugte sich vor und stützte sich auf ihre Handflächen. Sie spürte das Halsband hart und uneben unter ihrer Hand. Ihr Haar hatte sich gelöst, und eine dicke Strähne fiel ihr ins Gesicht.
Ihre Augen waren gegen das Schwindelgefühl geschlossen, das sie zu überwältigen drohte, und sie spürte die Hand, die sie berührte und ihr sanft die Locken aus dem Gesicht strich, mehr als daß sie sie sah.
»Er hat sie weiter geliebt«, flüsterte sie sich selbst genauso wie den anderen zu. »Er hat sie nicht vergessen.«
»Natürlich hat er sie nicht vergessen.« Sie öffnete die Augen und sah Ians langes Gesicht mit seinen gütigen braunen Augen fünfzehn Zentimeter von dem ihren entfernt. Eine breite, von der Arbeit gezeichnete Hand ruhte auf der ihren, warm und fest, eine Hand, die noch größer war als ihre eigene.
»Und wir auch nicht«, sagte er.
»Möchtest du nicht noch ein bißchen, Cousine Brianna?« Joan, Jamies Frau, lächelte ihr über den Tisch hinweg zu und hielt den Tortenheber
einladend über die krümeligen Reste einer gigantischen Stachelbeertorte.
»Nein, danke. Ich kriege keinen Bissen mehr hinunter«, sagte Brianna, indem sie das Lächeln erwiderte. »Ich platze.«
Das rief bei Matthew und seinem Bruder Henry lautes Kichern hervor, doch ein warnendes Aufblitzen der Augen ihrer Großmutter brachte sie abrupt zum Schweigen. Als sich Brianna allerdings am Tisch umsah, konnte sie sehen, wie in allen Gesichtern unterdrücktes Lachen aufkeimte; von den Erwachsenen bis hin zu den Kleinsten schienen sie alle noch die geringste ihrer Bemerkungen endlos amüsant zu finden.
Es lag weder an ihrer unorthodoxen Bekleidung noch an der bloßen Sensation, einen Fremden zu sehen, dachte sie - selbst wenn sie noch fremder war
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