Der Ruf Der Trommel
als die meisten anderen. Da war noch etwas anderes; ein Strom der Freude, der die Familienmitglieder durchlief, unsichtbar, doch so vibrierend wie Elektrizität.
Sie begriff nur langsam, was es war; durch eine Bemerkung, die Ian machte, wurde es deutlich.
»Wir hatten nicht gedacht, daß Jamie jemals Kinder haben würde.« Ians Lächeln von der anderen Seite des Tisches war so warm, daß es Eis zum Schmelzen gebracht hätte. »Aber du hast ihn noch nie gesehen, oder?«
Sie schüttelte den Kopf, schluckte die Reste ihres letzten Bissens hinunter und lächelte mit vollem Mund zurück. Das war es, dachte sie; sie freuten sich nicht so sehr um ihrer selbst willen über sie als vielmehr Jamies wegen. Sie liebten ihn, und sie waren nicht für sich selbst glücklich, sondern für ihn.
Diese Erkenntnis trieb ihr die Tränen in die Augen. Laoghaires Vorwürfe hatten sie erschüttert, wüst wie sie waren, und es war ihr ein großer Trost festzustellen, daß all diese Menschen, die ihn gut kannten, in Jamie Fraser weder einen Lügner, noch einen hinterlistigen Menschen sahen; er war wirklich der Mann, für den ihre Mutter ihn hielt.
Jamie, der angesichts ihres Gefühlsausbruches glaubte, sie hätte sich verschluckt, klopfte ihr hilfsbereit auf den Rücken, und nun verschluckte sie sich wirklich.
»Hast du Onkel Jamie denn geschrieben und ihm gesagt, daß du zu uns kommst?« fragte er und ignorierte ihr Husten und Prusten und ihren roten Kopf.
»Nein«, sagte sie heiser. »Ich weiß nicht, wo er ist.«
Jennys Augenbrauen hoben sich wie Möwenflügel.
»Aye, das hast du schon gesagt; ich hatte es vergessen.«
»Wißt ihr, wo er jetzt ist? Er und meine Mutter?« Brianna beugte sich gespannt vor und strich sich die Krümel aus ihrem Rüschenkragen.
Jenny lächelte und stand vom Tisch auf.
»Aye, das weiß ich - mehr oder weniger. Wenn du genug gegessen hast, kommt mit mir, Liebe. Ich hole dir seinen letzten Brief.«
Brianna erhob sich, um Jenny zu folgen, blieb aber an der Tür abrupt stehen. Sie hatte schon vorher vage von ein paar Bildern Notiz genommen, die an der Wohnzimmerwand hingen, sie aber im Trubel der Gefühle und Ereignisse nicht genauer betrachtet. Doch dieses hier sah sie sich an.
Zwei kleine Jungen mit rotgoldenem Haar, steif und ernst in Kilts und Jacken, weiße Rüschenhemden, die sich leuchtend vor dem dunklen Fell eines Hundes abhoben, der neben ihnen saß und die Zunge in geduldiger Langeweile heraushängen ließ.
Der ältere Junge war groß und hatte feine Gesichtszüge; er saß aufrecht und stolz da, eine Hand ruhte auf dem Kopf des Hundes, die andere schützend auf der Schulter des kleinen Bruders, der zwischen seinen Knien stand.
Doch es war der Jüngere, den Brianna anstarrte. Sein Gesicht war rundlich und stupsnasig, die Wangen durchscheinend und rötlich wie Äpfel. Weit geöffnete blaue Augen, leicht schräggestellt, sahen unter einer Glocke aus leuchtendem Haar hervor, das unnatürlich ordentlich gekämmt war. Seine Pose war formell im klassischen Stil des achtzehnten Jahrhunderts, doch die robuste, stämmige kleine Gestalt hatte etwas, das sie lächeln und den Finger ausstrecken ließ, um sein Gesicht zu berühren.
»Na, du bist ja ein Süßer«, sagte sie leise.
»Jamie war ein süßer Kerl, aber auch ein stures kleines Biest.« Jennys Stimme direkt neben ihr erschreckte sie. »Man konnte ihn schlagen oder auf ihn einreden, es war ganz egal; wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann blieb es auch dort. Komm mit; da ist noch ein Bild, das dir gefallen wird, glaube ich.«
Das zweite Porträt hing über dem Treppenabsatz und wirkte dort durch und durch deplaziert. Von unten konnte sie den vergoldeten Schmuckrahmen sehen, dessen üppige Schnitzereien überhaupt nicht zu der soliden, ein wenig abgewetzten Gemütlichkeit der restlichen Einrichtung des Hauses paßten. Es erinnerte sie an die Bilder in Museen; in dieser unspektakulären Umgebung schien es nichts verloren zu haben.
Als sie Jenny zum Treppenabsatz folgte, verschwand das gleißende Licht, das durch das Fenster fiel, und die Oberfläche des Bildes lag flach und deutlich vor ihr.
Sie schnappte nach Luft und spürte, wie sich die Haare auf ihren Unterarmen unter dem Leinenhemd sträubten.
»Es ist bemerkenswert, aye?« Jenny blickte von dem Gemälde zu Brianna und wieder zurück, und ihre Gesichtszüge trugen einen Ausdruck irgendwo zwischen Stolz und Ehrfurcht.
»Bemerkenswert!« stimmte Brianna zu und
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