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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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geringsten Rogers Schuld, und doch war er unentrinnbar darin verwickelt.
    Er war hinterher so zärtlich und so lieb gewesen, hatte sie wie eine Hinterbliebene behandelt - was sie auch war. Aber was für ein seltsamer Verlust! Ihre Mutter war für immer fort, doch sicher - so hoffte sie - nicht tot. Und doch war es ähnlich gewesen wie beim Tod ihres Vaters; als glaubte man an ein Leben nach dem Tod und hoffte mit aller Kraft, daß der geliebte Mensch geborgen und glücklich war - und als müßte man dennoch Trauer, Verlust und Einsamkeit ertragen.
    Ein Krankenwagen fuhr auf der anderen Seite des Parks vorbei, das rote Licht pulsierte in der Dunkelheit, die Sirene wurde durch die Entfernung gedämpft. Aus Gewohnheit bekreuzigte sie sich und murmelte: »Miserere nobis.« Schwester Marie Romaine hatte der fünften Klasse eingeschärft, daß die Toten und die Sterbenden ihre Gebete brauchten, und damit einen so starken Eindruck bei den Kindern hinterlassen, daß keins von ihnen jemals an einer Unfallstelle vorbeigehen konnte, ohne ein kurzes Gebet gen Himmel zu senden, um den Seelen derer beizustehen, die unmittelbar vor der Himmelspforte standen.
    Sie betete jeden Tag für sie, ihre Mutter und ihren Vater - ihre Väter. Das war der andere Grund. Onkel Joe wußte auch, wer ihr wirklicher Vater war, doch nur Roger konnte wirklich verstehen, was geschehen war, nur Roger konnte die Steine auch hören.
    Niemand erlebte so etwas, ohne davon gezeichnet zu werden. Er
nicht, sie nicht. Er hatte gewollt, daß sie blieb, nachdem Claire fortgegangen war, doch sie konnte nicht.
    Sie müsse hier einiges erledigen, hatte sie ihm gesagt, sich um viele Dinge kümmern, ihre Ausbildung zu Ende bringen. Das stimmte. Doch was noch wichtiger war, sie mußte weg - weit weg von Schottland und seinen Steinkreisen, zurück zu einem Ort, wo ihre Wunden heilen konnten, wo sie ihr Leben wieder aufbauen konnte.
    Wäre sie bei Roger geblieben, hätte sie nicht vergessen können, was geschehen war, nicht einen Moment lang. Und das war der letzte Grund, das letzte Stück ihres dreiteiligen Puzzles.
    Er hatte sie beschützt, sie liebevoll umsorgt. Ihre Mutter hatte sie ihm anvertraut, und er hatte dieses Vertrauen nicht enttäuscht. Doch hatte er sich nur um sie gekümmert, um das Versprechen zu halten, das er Claire gegeben hatte - oder weil ihm wirklich etwas an ihr lag? Wie auch immer, die erdrückenden Verpflichtungen auf beiden Seiten boten keine Grundlage für eine gemeinsame Zukunft.
    Falls es eine Zukunft für sie gab… und das war es, was sie ihm nicht schreiben konnte, denn wie sollte sie es sagen, ohne sich eingebildet und idiotisch anzuhören?
    »Geh fort, so daß du zurückkommen und es richtig machen kannst«, murmelte sie und zog bei den Worten ein Gesicht. Der Regen prasselte immer noch herunter und kühlte die Luft so weit ab, daß sie ungehindert atmen konnte. Es war kurz vor der Dämmerung, dachte sie, doch die Luft war immer noch so warm, daß die Feuchtigkeit auf der kühlen Haut ihres Gesichtes kondensierte; es bildeten sich kleine Wassertropfen, die ihr einzeln den Hals herunterglitten und von ihrem Baumwoll-T-Shirt aufgesogen wurden.
    Sie wollte, daß sie die Ereignisse des vergangenen Novembers hinter sich ließen, sie wollte einen sauberen Bruch. Wenn genug Zeit verstrichen war, konnten sie vielleicht wieder zusammenkommen. Nicht als Nebendarsteller im Lebensdrama ihrer Eltern, sondern als Schauspieler, die sich ihre Rollen selbst aussuchten.
    Nein, wenn irgend etwas zwischen ihr und Roger Wakefield geschehen sollte, sollte es definitiv aus freien Stücken sein. Es sah so aus, als bekäme sie jetzt die Gelegenheit, sich zu entscheiden, und die Aussicht rief ein leises, aufgeregtes Flattern in ihrer Magengrube hervor.
    Sie wischte sich mit der Hand über das Gesicht, strich die Feuchtigkeit weg und rieb sie sich ins Haar, um die wallenden Locken zu bändigen.
    Sie ließ das Fenster offen, ohne sich daran zu stören, daß der Regen
auf dem Boden eine Pfütze bildete. Sie fühlte sich zu unruhig, um abgeriegelt zu sein und sich von künstlicher Luft erfrischen zu lassen.
    Sie schaltete die Tischlampe ein, zog ihr Lehrbuch der Analysis hervor und öffnete es. Die späte Entdeckung, welch beruhigende Wirkung die Mathematik auf sie hatte, war ein kleiner und unerwarteter Vorteil ihres Studiengangwechsels.
    Als sie allein nach Boston und zur Uni zurückkehrte, hatte sie den Eindruck, Ingenieurwesen sei eine sehr viel ungefährlichere

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