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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Verzweiflung treiben konnte, daß sie dauerhafte Trennung und Quasi-Sklaverei als Preis für das Überleben in Kauf nahm.
    Er wußte alles über die Verkäufe von Ländereien, mit denen man die kleinen Pächter von dem Land vertrieb, das ihre Familien seit Hunderten von Jahren bestellt hatten, alles über die fürchterlichen Armuts- und Hungerzustände in den Städten, über die schlichte Unmöglichkeit, in dieser Zeit in Schottland sein Dasein zu fristen. Und doch hatten ihn all die Jahre der Lektüre nicht auf den Blick im Gesicht dieser Frau vorbereitet, die ihre Augen fest auf den frisch mit Sand bestreuten Boden heftete und die Hände ihrer Töchter krampfhaft mit den ihren umklammerte.
    Zehn Pfund, acht Schillinge. Oder vier Pfund und zwei. Plus was auch immer die Lebensmittel kosten mochten. Er hatte exakt vierzehn Schillinge und drei Pence in seiner Tasche, außerdem eine Handvoll Kupferkleingeld und ein paar Farthings.
    Er ging langsam durch die Straße, die am Meer entlangführte, und blickte auf die Ansammlung von Schiffen, die an den Holzdocks angelegt hatte. Zum Großteil Fischketschen, kleine Galeeren und Briggs, die entlang des Firths ihren Geschäften nachgingen oder im Höchstfall über den Kanal fuhren und Fracht und Passagiere nach Frankreich brachten. Nur drei große Schiffe lagen im Firth vor Anker, von der Größe, die den Winden der Atlantiküberfahrt trotzen konnte.
    Er konnte natürlich nach Frankreich übersetzen und von dort ein Schiff nehmen. Oder auf dem Landweg nach Edinburgh reisen, welches einen viel größeren Hafen hatte als Inverness. Doch dann würde es schon sehr spät im Jahr für eine Überfahrt sein. Brianna war ihm bereits sechs Wochen voraus; er durfte keine Zeit mehr verlieren, sie zu finden - weiß Gott, was einer Frau allein hier zustoßen konnte.
    Vier Pfund, zwei Schillinge. Nun, er konnte natürlich arbeiten. Da er weder Frau noch Kinder zu versorgen hatte, würde er den Großteil seines Verdienstes sparen können. Aber da ein normaler Bürogehilfe etwa zwölf Pfund im Jahr verdiente und er wahrscheinlich eher Arbeit als Stallknecht als in der Buchhaltung finden würde, waren seine Chancen, das Geld für die Überfahrt in absehbarer Zeit zusammenzusparen, herzlich gering.
    »Immer der Reihe nach«, murmelte er. »Finde erst mal heraus, wohin sie gefahren ist, bevor du dir den Kopf zerbrichst, wie du selbst dorthin kommst.«
    Er nahm die Hand aus der Tasche und wandte sich, zwischen zwei
Lagerhäusern hindurch, nach rechts in eine enge Gasse. Seine Hochstimmung vom Morgen war zum Großteil verflogen, doch ein wenig davon kehrte zurück, als er sah, daß er richtig geraten hatte; das Büro des Hafenmeisters war genau dort, wo es seines Wissens nach sein mußte - in demselben flachen Steingebäude, in dem es auch in zweihundert Jahren noch sein würde. Roger lächelte mit ironischem Humor; Schotten waren nicht geneigt, Veränderungen nur um ihrer selbst willen durchzuführen.
    Innen war es voll und geschäftig, und vier abgehetzte Bürogehilfen saßen hinter einer abgenutzten Holztheke, schrieben und stempelten, trugen Papierbündel hin und her, nahmen Geld entgegen und trugen es sorgsam in ein innenliegendes Büro, aus welchem sie Sekunden später mit Japanlacktabletts wieder herauskamen, auf denen Quittungen lagen.
    Ein Gedränge ungeduldiger Männer preßte sich gegen die Theke, und jeder von ihnen bemühte sich, mit Hilfe seiner Stimme und Haltung zu signalisieren, daß sein Anliegen dringender war als das seines Nachbarn. Als es Roger jedoch erst einmal gelungen war, die Aufmerksamkeit eines der Angestellten für sich zu beanspruchen, stellte sich heraus, daß er ohne Probleme die Register der Schiffe einsehen konnte, die in den letzten paar Monaten aus Inverness abgesegelt waren.
    »Halt, wartet«, sagte er zu dem jungen Mann, der ihm ein großes, ledergebundenes Buch über die Theke zuschob.
    »Aye?« Der Bürogehilfe war rot vor Eile und hatte einen Tintenklecks auf der Nase, hielt aber höflich mitten im Lauf inne.
    »Was verdient Ihr hier?« fragte Roger.
    Die hellen Augenbrauen des Mannes gingen in die Höhe, doch er hatte es viel zu eilig, um Rückfragen zu stellen oder über die Frage beleidigt zu sein.
    »Sechs Schillinge die Woche«, sagte er kurz und verschwand, als jemand aus dem Büro hinter der Theke verärgert »Munro!« rief.
    »Mmpfm.« Roger schob sich durch die Menge zurück und trug das Registerbuch zu einem kleinen Tisch am Fenster, fort vom

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