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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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hörbar Luft, und erst jetzt erkannte sie, daß es ihn beträchtliche Mühe kostete, seine äußere Ruhe zu bewahren.
    »Ich hielt es für einen Segen - daß ich mich nicht erinnern konnte«, sagte er schließlich. Er sah nicht sie an, sondern die Schatten am anderen Ende des Stalls. »Damals sind großartige Männer gestorben. Männer, die ich sehr geliebt habe. Solange ich nichts über ihren Tod wußte - mich nicht daran erinnern oder es vor meinem inneren Auge sehen konnte -, solange mußte ich sie mir auch nicht als Tote vorstellen. Vielleicht war das feige, vielleicht auch nicht. Vielleicht habe ich mich bewußt entschlossen, mich nicht an diesen Tag zu erinnern - vielleicht könnte ich es nicht einmal, wenn ich es wollte.« Er sah zu ihr hinunter; sein Blick war weicher geworden. Doch dann wandte er sich mit einem Schwung seines Plaids ab, ohne eine Antwort abzuwarten.
    »Danach - aye, gut. Rache kam mir damals nicht wichtig vor. Es lagen tausend Tote auf diesem Feld, und ich dachte, ich würde in wenigen Stunden dazugehören. Jack Randall…« Mit einer seltsamen, ungeduldigen Geste schob er den Gedanken an Jack Randall wie eine lästige Pferdebremse von sich. »Er war einer davon. Ich dachte, ich könnte ihn Gott überlassen. Damals.«
    Sie holte tief Luft und versuchte, die Kontrolle über ihre Gefühle zu behalten. Neugier und Mitgefühl rangen mit einem überwältigenden Gefühl der Ohnmacht.
    »Du bist aber… geheilt. Ich meine - trotz allem - was er dir angetan hat?«
    Er sah sie an, als triebe sie ihn zur Verzweiflung, und das Verständnis in seinem Blick mischte sich mit halb verärgerter Belustigung.

    »Nicht viele sterben daran, Kleine. Ich nicht. Und du auch nicht.«
    »Noch nicht.« Unwillkürlich legte sie eine Hand auf ihren Bauch. Sie starrte zu ihm hoch. »Wir werden ja in sechs Monaten sehen, ob ich daran sterbe.«
    Das saß; sie konnte es sehen. Er atmete aus und fuhr sie an.
    »Du machst das schon«, sagte er barsch. »Du hast breitere Hüften als unsere Färse da.«
    »Aha. So wie deine Mutter? Jeder sagt mir, wie ähnlich ich ihr bin. Ich schätze, sie hatte auch breite Hüften, aber es hat ihr nicht geholfen, oder?«
    Er fuhr zusammen. Kurz und heftig, als hätte sie ihm eine Brennnessel ins Gesicht geschlagen. Perverserweise erfüllte sie der Anblick mit Panik anstelle der Genugtuung, mit der sie gerechnet hatte.
    In diesem Moment wurde ihr klar, daß sein Versprechen, sie zu beschützen, größtenteils Wunschdenken war. Er würde für sie töten, ja. Bereitwillig selbst sterben, daran gab es keinen Zweifel. Wenn sie ihn ließ, würde er ihre Ehre rächen und ihre Feinde vernichten. Aber er konnte sie nicht vor ihrem eigenen Kind schützen; gegenüber dieser Bedrohung war er so machtlos, als hätte sie ihn gar nicht erst gefunden.
    »Ich werde sterben«, sagte sie, und kalte Gewißheit erfüllte ihren Bauch wie gefrorenes Quecksilber. »Ich weiß es.«
    »Wirst du nicht!« Er fuhr sie heftig an, und sie spürte, wie sich seine Hände in ihre Oberarme krallten. »Ich werde es nicht zulassen!«
    Sie hätte alles darum gegeben, ihm zu glauben. Ihre Lippen waren taub und steif; ihre Wut wich kalter Verzweiflung.
    »Du kannst mir nicht helfen«, sagte sie. »Du kannst nichts tun!«
    »Aber deine Mutter«, sagte er, doch es klang nur halb überzeugt. Seine Umklammerung wurde schwächer, und sie riß sich los.
    »Nein, das kann sie nicht - nicht ohne Krankenhaus, Medikamente und so. Wenn es - wenn es schiefgeht, kann sie nur versuchen, das B-Baby zu retten.« Unwillkürlich huschte ihr Blick zu seinem Dolch, dessen Klinge kalt im Stroh glänzte, wo er ihn liegengelassen hatte.
    Sie hatte weiche Knie und setzte sich abrupt hin. Er griff nach dem Krug und goß Apfelwein in einen Becher, den er ihr dann unter die Nase hielt.
    »Trink«, sagte er. »Trink aus, Kleine. Du bist ja so bleich wie mein Hemd.« Er legte seine Hand hinter ihren Kopf und drängte sie. Sie nahm einen Schluck, verschluckte sich aber und wich hustend zurück.
Sie fuhr sich mit dem Ärmel über das feuchte Kinn und wischte den verschütteten Apfelwein weg.
    »Weißt du, was das Schlimmste ist? Du sagst, es ist nicht meine Schuld, aber das ist es doch.«
    »Ist es nicht!«
    Mit einer Handbewegung bat sie ihn, still zu sein.
    »Du hast von Feigheit gesprochen; du weißt, was das ist. Nun, ich war ein Feigling. Ich hätte kämpfen sollen, ich hätte es nicht zulassen dürfen… aber ich hatte Angst. Wenn ich mutig genug gewesen

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